Rechtsabteilung zwischen Wachstum und Verschlankung – Fiona Konetzky von Adverity im Interview
Business Circle: Sehr geehrte Frau Konetzky, eingangs etwas Persönliches: Was waren Ihre wichtigsten Learnings aus dem Aufbau einer Legal & Compliance-Abteilung? Welche Fehler sollten junge Unternehmen vermeiden, wenn sie beginnen, Legal intern aufzubauen?
Fiona Konetzky: Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse beim Aufbau einer Legal & Compliance-Abteilung war, wie zentral der frühzeitige Austausch mit anderen Inhouse-Juristinnen ist. Der Aufbau einer internen Rechtsabteilung bringt viele strategische und praktische Fragen mit sich, die andere bereits durchlebt haben – von diesem Erfahrungsschatz zu profitieren, ist enorm wertvoll. Ebenso habe ich gelernt, dass es sich lohnt, von Anfang an auf Legal Tech und Automatisierung zu setzen – auch (oder gerade) wenn man zunächst als One-Woman-Show agiert. Viele Prozesse lassen sich früh effizient gestalten, wenn man die richtigen Tools nutzt.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die Erwartungshaltung des C-Levels: Welche Aufgaben soll die Rechtsabteilung übernehmen, und wo liegen bewusst gesetzte Grenzen? Diese Klarheit hilft später nicht nur bei der Priorisierung, sondern auch dabei, nachvollziehbar Budget für den personellen Ausbau zu rechtfertigen.
Nicht zuletzt ist aktives Stakeholdermanagement essenziell. Kolleg:innen müssen wissen, dass es eine Rechtsabteilung gibt, wofür sie zuständig ist und wie sie konkret unterstützen kann. Denn wenn Legal nicht als Business Enabler wahrgenommen wird, besteht die Gefahr, dass die Abteilung umgangen wird – und damit ihren eigentlichen Zweck als Dienstleisterin im Unternehmen verfehlt.
BC: Wie gelingt es am besten, in dynamisch wachsenden Unternehmen rechtliche Prozesse mit der nötigen Geschwindigkeit und fachlichen Tiefe zu etablieren?
Konetzky: Die größte Herausforderung liegt darin, den Spagat zwischen notwendiger juristischer Sorgfalt und der hohen Umsetzungsgeschwindigkeit des Geschäfts mitzugehen – ohne dabei an Qualität einzubüßen oder als „Bremser“ wahrgenommen zu werden. Mein Ansatz als VP Legal & Compliance ist deshalb ein stark unternehmerisch geprägter: Prozesse werden nicht um der Formalität willen eingeführt, sondern immer mit dem Ziel, konkrete Geschäftsziele zu unterstützen.
Ein Schlüssel zum Erfolg liegt dabei im engen Austausch mit dem Business. Ich stimme meine Prioritäten eng mit der Unternehmensstrategie und der gelebten Risikobereitschaft ab – nicht jede juristische Herausforderung muss sofort mit einem 20-seitigen Gutachten beantwortet werden. Es geht vielmehr darum, pragmatische, handhabbare Lösungen anzubieten, die zum aktuellen Reifegrad und Tempo des Unternehmens passen.
Der Austausch mit anderen Inhouse-Jurist:innen spielt dabei eine entscheidende Rolle. Als aktives Mitglied mehrerer Legal-Netzwerke profitiere ich vom Erfahrungsschatz meiner Kolleg:innen – sei es bei der Implementierung skalierbarer Prozesse, bei der Bewertung von Legal-Tech-Lösungen oder beim Umgang mit neuen regulatorischen Anforderungen. Gerade in der dynamischen Welt eines Scale-ups hilft das ungemein, um nicht jedes Rad neu erfinden zu müssen.
Darüber hinaus ist es essenziell, Prozesse nicht im stillen Kämmerlein zu entwerfen, sondern sie in enger Abstimmung mit den relevanten Stakeholder:innen aufzusetzen. Nur so entsteht Akzeptanz im Unternehmen – und damit die Grundlage für echte Wirksamkeit. Auch hier hilft ein strukturierter, iterativer Ansatz wie Legal Design Thinking: zuhören, verstehen, gemeinsam entwickeln – und dann mit Technologie oder klaren Guidelines unterstützen.
Kurz gesagt: Geschwindigkeit entsteht nicht durch juristische Abkürzungen, sondern durch kluge Struktur, unternehmerisches Denken – und ein tiefes Verständnis dafür, wo das Unternehmen hinwill.
BC: „Wenn man einen schlechten Prozess digitalisiert, hat man einen schlechten digitalen Prozess.“ Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Fehler bei der Einführung von Legal Tech?
Konetzky: Zunächst sollte man sich immer im Klaren sein, warum man Legal Tech implementieren möchte: Welches Problem soll gelöst werden? Welchen Mehrwert bringt das Tool dem Unternehmen?
Im nächsten Schritt sollte man sich in die Perspektive der späteren Nutzer:innen hineinversetzen und diese frühzeitig in den Auswahlprozess einbeziehen – Stichwort: Legal Design Thinking.
Verstehen Sie die Erfahrungen und Bedürfnisse der Anwender:innen. Identifizieren Sie die Probleme mit der aktuellen Situation und suchen Sie gezielt nach Lösungen. Möglicherweise zeigt sich dabei, dass Legal Tech gar nicht die richtige Antwort ist. Testen Sie Ihre Lösung mit den Nutzer:innen und holen Sie Feedback ein. Erst danach sollte eine fundierte Entscheidung darüber getroffen werden, ob – und wenn ja, welche – Legal Tech-Lösung sinnvoll ist.
BC: Wo sehen Sie heute für Rechtsabteilungen noch ungenutztes Potenzial in Verschlankungs- und Digitalisierungsprozessen?
Konetzky: Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Rechtsabteilungen administrative Prozesse noch nicht digitalisiert haben.
Ein Beispiel: Das gemeinsam genutzte E-Mail-Gruppenpostfach zur Aufgabenverteilung und -organisation war mir schon ein Graus, als wir nur zu zweit im Team waren – und es hat spürbar zur Ineffizienz beigetragen. Ein Legal Intake- und Task-Management-Tool kann hier Abhilfe schaffen, gleichzeitig wertvolle Metadaten liefern und damit helfen, die Rechtsabteilung strategischer zu steuern.
Auch die Einführung eines Contract Lifecycle Management Tools ist für mich ein No-Brainer – insbesondere, um Standardverträge vollständig zu automatisieren. So können sie vom ersten Entwurf bis zur digitalen Signatur und Ablage ohne direkte Einbindung der Rechtsabteilung abgewickelt werden.
Ein echter Gamechanger ist zudem der Einsatz generativer KI, die – meiner Meinung nach – unsere Arbeitsweise grundlegend verändern wird. Sie bietet enormes Potenzial, insbesondere bei gleichförmigen, sich ständig wiederholenden administrativen Tätigkeiten. Diese können künftig von KI-Agenten übernommen werden – etwa für die erste Vertragsprüfung nach internen Guidelines/Playbooks (Pre-Check/Risk Scoring), Vertragsklassifizierung und Metadatenextraktion, „First Line Support“ bei Rechtsfragen, Due Diligence und Dokumentensichtung oder für Reminder- und Fristenmanagement.
BC: Wie unterscheiden sich Ihrer Einschätzung nach die Haltungen zu KI im Team – je nach Erfahrungslevel oder Altersgruppe?
Konetzky: Grundsätzlich gehört es zu unserer Unternehmenskultur, neugierige Menschen einzustellen, die den Status quo hinterfragen und gerne Neues ausprobieren. Daher war die Offenheit im Team entsprechend groß, als wir erste Schritte im Umgang mit KI in der Rechtsabteilung wagten.
Die Unterschiede, die ich beobachtet habe, liegen weniger in Alter oder Erfahrungslevel, sondern eher zwischen dem Legal-Counsel-Team und dem Legal-Operations-Team: Während sich die Legal Counsels naturgemäß zunächst stärker mit den rechtlichen Fragestellungen und Risiken – insbesondere im Hinblick auf sensible und personenbezogene Daten – auseinandergesetzt haben, hat sich unser Operations-Team vorrangig damit beschäftigt, welche Prozesse durch KI effizienter gestaltet, automatisiert oder sogar vollständig ersetzt werden können. Dabei setzen sie bewusst ihren „juristischen Hut“ ab und denken ganzheitlicher in Richtung Prozesse und Skalierung.
Durch das Zusammenwirken beider Teams haben wir bereits eine Vielzahl an Ideen entwickelt, die wir nun Schritt für Schritt implementieren.
Trial and Error: Aber Erfahrungen sammeln
BC: Sie werden im Rahmen der RuSt NEXTGen vortragen, bei der wir aufstrebende Talente und Nachwuchskräfte im Legal-Bereich in den Fokus stellen. Was würden Sie einer jungen Maturantin raten, die eine Karriere als Legal Counsel anstrebt?
Konetzky: Der Beruf als Legal Counsel ist extrem vielseitig und je nach Unternehmen sehr unterschiedlich ausgestaltet. Ob man in einem Start-up als Allrounder:in tätig ist oder in einem großen Konzern eine spezialisierte Rolle – etwa in IP oder Datenschutz – einnimmt: Nur die Praxis zeigt, was einem wirklich liegt und in welchem Umfeld man wachsen kann und möchte.
Mein Rat: Try and error! Sammle früh Erfahrungen – etwa durch Praktika oder Jobs als Werkstudent:in.
Ich persönlich fand Bewerber:innen immer besonders spannend, die über ihre juristische Ausbildung hinaus auch in andere Unternehmensbereiche hineingeschnuppert haben. Mein Stellvertreter zum Beispiel hat vor seiner ersten juristischen Tätigkeit im Marketing gearbeitet. Das fördert, meiner Meinung nach, vernetztes Denken und das vielzitierte „Über-den-Tellerrand-Schauen“ – beides Fähigkeiten, die im Unternehmenskontext unverzichtbar sind.
BC: Abschließend: Sie haben bei Business Circle schon bei der „Vienna Legal Innovation“ vorgetragen. Möchten Sie Ihren Eindruck von dieser Konferenz mit uns teilen?
Konetzky: Ich war begeistert, wie engagiert und lebendig die Legal-Innovation-Community in Österreich ist. Die Konferenz hat mir viele Denkanstöße für die Weiterentwicklung meiner Abteilung gegeben. Besonders wertvoll war für mich auch die Möglichkeit, mich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Wie eingangs erwähnt, löse ich komplexe Herausforderungen gerne durch den Austausch mit anderen Legal-Tech-Expert:innen – insbesondere dann, wenn es um die Evaluation neuer Tools und das Sammeln von Erfahrungswerten geht.
BC: Liebe Frau Konetzky, wir danken Ihnen für dieses inspirierende Gerspräch und freuen uns auf ein Wiedersehen zur RuSt NEXTGen.