Update Kapitalmarkt Compliance: Interview mit Thomas Barth, WU Wien und Michael Ebner, OMV
Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Barth, sehr geehrter Herr Ebner, Sie werden auf der RuSt 25 gemeinsam das „Update Kapitalmarkt Compliance“ gestalten. Möchten Sie uns zu Beginn einen kleinen Überblick über Ihren jeweiligen Werdegang geben?
Thomas Barth: Sehr gerne. Ich bin Universitätsassistent post doc am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien. Ich war bereits als Doktorand am Institut und bin im Anschluss an die Übernahmekommission gegangen, wo ich zuletzt die Geschäftsstelle geleitet habe. Das war eine sehr spannende und lehrreiche Zeit, weil ich das erlernte Wissen so unmittelbar am Kapitalmarkt anwenden konnte. Im Oktober 2024 bin ich dann wieder zurück an die WU Wien gekehrt, um mich zu habilitieren.
Michael Ebner: Ich bin Senior Legal Counsel bei der OMV AG und betreue dort hauptsächlich grenzüberschreitende M&A Transaktionen. Zuvor war ich im Corporate Transactions Department bei Cerha Hempel Rechtsanwälte tätig, habe mich aber nach Absolvierung der Anwaltsprüfung für einen Perspektivenwechsel entschieden. Die Kapitalmarkt-Compliance ist jedoch nach wie vor ein ständiger (beruflicher) Begleiter, da sich insbesondere in frühen Phasen möglicher Transaktionen oftmals Fragen iZm der Marktmissbrauchsverordnung stellen, die in enger Abstimmung mit anderen Abteilungen wie zB Compliance beantwortet werden müssen.
BC: Die Kapitalmarkt-Compliance ist in den letzten Jahren komplexer geworden. Ist das aus Ihrer Sicht eine konsequente Weiterentwicklung oder erleben wir eine Phase der Überregulierung?
Barth/Ebner: Wir denken, sowohl als auch. Das wirtschaftliche Umfeld ist komplexer geworden. Wir können heute mit ein paar Klicks Kryptowerte handeln und Verträge auf distributed ledger Technologien wie der Blockchain abwickeln. Da ist es eine natürliche Entwicklung, für diese Möglichkeiten rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. So wie sich alles weiterentwickelt, muss sich auch das Recht weiterentwickeln. Damit einher geht häufig leider aber auch eine gewisse Überregulierung. Das mag unterschiedliche Gründe haben, möglicherweise auch Unklarheit darüber, wo sich Technologien, Märkte und die Gefahren in diesem Zusammenhang hinentwickeln können. Ein positives Signal ist uE aber, dass das Bewusstsein für die Überregulierung auch beim Gesetzgeber angekommen ist; das zeigt das Regierungsprogramm sehr deutlich.
BC: Daran anschließend: Wie beurteilen Sie den aktuellen Regulierungsdruck auf große Unternehmen im Vergleich zu KMU?
Barth/Ebner: Es ist durchaus erkannt worden, dass der Regulierungsdruck zu groß ist. Man weiß mittlerweile auch – und das ist empirisch gut belegt – dass das Informationsmodell alleine scheitert. Niemand kann und will hunderte Seiten lesen und fühlt sich danach besser informiert. Der Regulierungsdruck ist bei KMU wohl geringer, sie kommen aber zunehmend in den Fokus, auch um deren Attraktivität für Investoren und den Kapitalmarkt zu stärken. Wir versuchen, auch mit unserem Vortrag, dass Bewusstsein dafür zu schaffen, bei KMU nicht dieselben Fehler wie bei großen Unternehmen zu machen.
BC: Der EU Listing Act soll Erleichterungen bringen, hält er, was er verspricht, oder wird nur „alter Wein in neuen Schläuchen“ präsentiert?
Barth/Ebner: Der Entstehungsprozess des EU Listing Acts ist unter anderem von der Zielsetzung geprägt, das Kapitalmarktrecht „zukunftsfit“ zu machen. Ein Blick in die erläuternden Bemerkungen des Listing Acts zeigt ebenfalls, dass hinter vielen Neu-Regelungen identifizierte Probleme und Ineffizienzen stehen, denen man mit angepassten Regelungen begegnen will. Dieser Leitgedanke steht uE allerdings in einem Spannungsfeld zum (notwendigen) Ausmaß an Kontinuität in der Kapitalmarktregulierung. Daher fallen die (von vielen Unternehmen mit Spannung erwarteten) Erleichterungen mitunter weniger stark aus, als erhofft. Ob der Listing Act daher lediglich alten Wein in neuen Schläuchen serviert oder Unternehmen mit echten Neuerungen konfrontiert sind, die eine Anpassung bestehender Compliance-Prozesse erfordern, werden wir in unserem Vortrag und hoffentlich auch im Rahmen eines angeregten Diskurses mit dem Publikum erörtern.
Die Möglichkeiten der KI sind nahezu unbegrenzt. Das ist faszinierend und beängstigend
BC: Künstliche Intelligenz ist auch im Kapitalmarkt längst angekommen. Wo sehen Sie Chancen für den Einsatz von KI, z. B. bei der Überwachung von Insiderhandel oder in der Compliance-Arbeit?
TB: KI bietet unzählige Möglichkeiten. Während meiner Zeit an der Wiener Börse habe ich gesehen, wie wichtig die automatisierte Überwachung von Daten, ua von Handelsdaten ist, um Compliance-Arbeit zu leisten. Niemand könnte mehr die Menge an Daten manuell überwachen. KI bietet hier völlig neue Möglichkeiten: So könnten Handelsdaten etwa nicht nur nach Größe, Volumen oder Volatilität überprüft werden, sondern in Echtzeit mit News oder anderen Meldungen verknüpft werden, um Unregelmäßigkeiten zu entdecken. Manches davon passiert bereits, andere Anwendungen werden gerade entwickelt und manche können wir uns wahrscheinlich noch gar nicht vorstellen. Die Möglichkeiten sind wahrscheinlich nahezu unbegrenzt. Das ist gleichsam faszinierend wie beängstigend. Wir müssen hier am Ball bleiben und vor allem die KI und ihre Arbeitsweise verstehen.
BC: Abschließend: Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf: bei der Deregulierung, der Harmonisierung oder der konsequenteren Durchsetzung bestehender Regeln?
ME: Eine konsequente Weiterentwicklung des Kapitalmarktrechts erfordert ein Zusammenspiel mehrerer Maßnahmen. Während eine zielgerichtete Deregulierung in Teilbereichen den Zugang zum Kapitalmarkt sicherlich attraktiver machen kann, ist der Ruf nach mehr Harmonisierung ebenfalls ein starker Treiber der Reform. So führte etwa die Kommission selbst die derzeit unterschiedliche Auslegung der MAR in den einzelnen Mitgliedstaaten, die im Ergebnis zu einer stark schwankenden Anzahl an Ad-hoc Meldungen führt, als Argument für den Listing Act ins Treffen. Der tatsächliche Mehrwert der Reform (falls ein solcher geschaffen werden kann) wird aber uE wesentlich von der Rechtsanwendung durch die Behörden und Gerichte abhängen; wenngleich die vom VwGH und vom BVwG mehrfach bestätigten zentralen Grundsätze iZm der MAR-Anwendung auch nach dem Inkrafttreten des Listing Acts zunächst weiterhin Gültigkeit haben werden.
BC: Sehr geehrter Herr Dr. Barth, sehr geehrter Herr Ebner, wir danken Ihnen für dieses spannende und aufschlussreiche Gespräch und freuen uns, Sie bald persönlich auf der Rust zu begrüßen!