Juristische und unternehmerische Entscheidungsfindung im Spannungsfeld der Generationen. Interview mit Stefan Dobrijević, WU Wien
Business Circle: Sehr geehrter Herr Mag. Dobrijević, Sie haben Erfahrungen aus Kanzlei, Gerichtspraxis und Wissenschaft. Wie hilft Ihnen dieses Wissen in der Praxis, eine Balance im Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Stakeholdern zu finden?
Stefan Dobrijević: Ich empfinde diese verschiedenen Stationen nicht als Gegensätze, sondern als wertvolle Perspektiven, die sich gut ergänzen. Die Kanzleiarbeit hat mir ein Gespür für wirtschaftliche Zusammenhänge vermittelt. Die Gerichtspraxis lehrt Genauigkeit und Fairness in der Abwägung – gerade im Spannungsfeld divergierender Interessen. Die wissenschaftliche Tätigkeit schafft Distanz und Tiefgang, die für eine strukturierte Analyse komplexer Sachverhalte unerlässlich sind. Diese Kombination hilft mir heute dabei, zwischen unterschiedlichen Stakeholdern zu vermitteln, klar zu kommunizieren und zugleich strategisch zu denken.
BC: Aus Ihrer Sicht als Universitätsassistent: Universitäten vermitteln ohne Frage exzellentes Fachwissen. Aber leisten sie aus Ihrer Sicht genug, wenn es um Soft Skills, Legal English oder KI-Kompetenz geht?
Dobrijević: Am meisten bin ich mit dem Studienprogramm an der WU vertraut, da ich dort seit 2021 meinen beruflichen Alltag verbringe.
Was juristische Soft Skills und Legal English betrifft, könnte das Angebot der WU aus meiner Sicht kaum besser sein. In nahezu jedem Rechtsgebiet können unsere Studierenden an sogenannten Moot-Court-Veranstaltungen teilnehmen und dort ihre Verhandlungsstrategie, Rhetorik und juristische Argumentation in einem geschützten Rahmen unter Beweis stellen – manche davon werden auch auf Englisch abgehalten.
Ebenfalls vielfältig ist unser Angebot an Wahlveranstaltungen im Masterstudium Wirtschaftsrecht. Ein Beispiel ist die von Prof. Eckert und mir gemeinsam durchgeführte Lehrveranstaltung zur alternativen Streitbeilegung im gesellschaftsrechtlichen Kontext, die sich intensiv mit der Mediation und dem Schiedsverfahren befasst.
Bei der KI-Kompetenz besteht zwar noch Aufholbedarf, aber das Thema ist definitiv angekommen.
BC: Daran anschließend: Was sind die wichtigsten Fähigkeiten, die Studierende zusätzlich entwickeln sollten, um in der Praxis bestehen zu können?
Dobrijević: Zwei davon haben wir bereits gestreift: die Kommunikationsfähigkeit und die digitale Grundkompetenz. Wer sich präzise ausdrücken kann – schriftlich wie mündlich – und dabei auch empathisch agiert, wird in jeder beruflichen Konstellation geschätzt. Ebenso entscheidend ist der souveräne Umgang mit digitalen Tools, sei es bei der juristischen Recherche, der Vertragsanalyse oder dem Projektmanagement. Als dritten Punkt würde ich die Eigenverantwortung nennen. Wer bereit ist, Verantwortung für die eigene Entwicklung zu übernehmen, sich aktiv einbringt und auch über den juristischen Tellerrand hinausblickt, verschafft sich einen Vorsprung. Denn am Ende geht es nicht nur darum, das Recht zu kennen – sondern es in der Praxis wirksam anzuwenden.
BC: Was wäre Ihre Vision für die juristische Ausbildung und Praxis der nächsten Generation?
Dobrijević: Die juristische Ausbildung muss weiterhin dogmatisch fundiert sein und eine tragfähige juristische Grundstruktur vermitteln. Gleichzeitig soll sie die nächste Generation von Jurist:innen darauf vorbereiten, technologiegestützter und interdisziplinärer zu arbeiten. Dazu gehören vertiefende Programme nach dem Studium – gewissermaßen eine „Facharztausbildung light“ für Jurist:innen –, in denen gezielt Spezialisierungen gefördert und digitale Kompetenzen sowie Soft Skills praxisnah vermittelt werden.
Ich habe kürzlich bei einer Summer Law School zum Thema KI unterrichtet und war begeistert, wie offen, interessiert und lösungsorientiert die Studierenden an neue Technologien herangehen. Diese Generation ist bereit, die Veränderungen nicht nur mitzugehen, sondern sie aktiv mitzugestalten. Und dafür müssen wir auch auf der Ausbildungsseite die passenden Räume schaffen.
Zu verstehen, warum jemand auf eine bestimmte Art und Weise agiert, hilft dabei, Konflikte zu entschärfen
BC: Sie sind auch ausgebildeter Mediator. Welche Rolle spielen Kommunikation und Empathie für die juristische Arbeit – sei es in der Kanzlei, im Unternehmen oder in der Wissenschaft?
Dobrijević: Eine sehr große. Die Kommunikation kann vieles erleichtern – oder eben auch erschweren. Bereits einfache Methoden wie Ich-Botschaften oder gewaltfreie Kommunikation können in komplexen Situationen den entscheidenden Unterschied machen. Wer empathisch ist, wird meist auch als vertrauenswürdiger wahrgenommen und kann leichter tragfähige Beziehungen aufbauen – zu den Mandant:innen, den Geschäftspartner:innen, den Kolleg:innen oder auch zur “Gegenseite”. Zu verstehen, warum jemand auf eine bestimmte Art und Weise agiert, hilft nicht nur dabei, Konflikte zu entschärfen, sondern auch, selbst klarer und strategischer zu handeln.
BC: Warum ist es gerade für junge Juristen so wichtig, rechtzeitig ein stabiles Netzwerk aufzubauen? Haben Sie hier persönliche Tipps?
Dobrijević: Netzwerke sind ein langfristiger Begleiter durchs Berufsleben. Ich habe es stets als bereichernd empfunden, neue, interessante Menschen kennenzulernen und mit ihnen in den Dialog zu treten. Das hat nicht nur meinen Erfahrungsschatz bereichert, sondern auch zur Entstehung vieler spannender Projekte geführt.
Am leichtesten kommt man ins Gespräch, wenn man fachliche Interessen oder Hobbys miteinander teilt – das schafft Vertrautheit. Selbst wenn solche Gemeinsamkeiten vorerst nicht erkennbar sind, haben sich aktives Zuhören und echtes Interesse immer als Türöffner erwiesen. Es gilt jedenfalls: Übung macht den Meister – und genau dafür bietet die RuSt NEXTGen 2025 den richtigen Rahmen.
BC: Abschließend: Sie kennen die RuSt NEXTGen 2024 aus eigener Erfahrung. Was hat Ihnen daran besonders gefallen und was erwarten Sie heuer?
Dobrijević: Mir hat besonders gefallen, Jurist:innen mit unterschiedlichsten beruflichen Geschichten und Perspektiven kennenzulernen. Diese Vielfalt erweitert den Horizont und zeigt, wie viele Wege in und mit der Rechtswissenschaft möglich sind.
Heuer erwarte ich mir eine ebenso inspirierende Fortsetzung – mit Offenheit, Energie und dem Willen, gemeinsam etwas zu gestalten.
BC: Sehr geehrter Herr Mag. Dobrijević, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns sehr, Sie wieder zur RuSt NextGen zu begrüßen!