Legal Breakfast „Wettbewerbsfaktor Mitarbeiter“: HR im Spannungsfeld von Kartell- und Arbeitsrecht
Der Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren drastisch verändert. Während Kartellbehörden früher vor allem auf klassische Absprachen wie Preis- oder Marktaufteilungen blickten, rücken heute Personalfragen ins Zentrum des Interesses. Absprachen über Gehälter, Bonusmodelle oder das gegenseitige Abwerben von Fachkräften sind längst keine Randnotiz mehr, sondern werden von Wettbewerbsbehörden in ganz Europa als potenziell kartellrechtswidrig eingestuft. Die Logik ist klar: Wer die freie Wahl des Arbeitsplatzes einschränkt, beeinflusst den Wettbewerb am Arbeitsmarkt.
Jüngste Fälle unterstreichen die Brisanz. Die Europäische Kommission belegte Delivery Hero und Glovo wegen sogenannter „No-Poach“-Vereinbarungen mit einer Strafe von 329 Millionen Euro. In Großbritannien musste sich die BBC wegen Absprachen zur Vergütung von Freelancern verantworten, und in Frankreich wurden mehrere Unternehmen zu Millionenstrafen verurteilt, weil sie „Gentlemen’s Agreements“ betreffend Nichtabwerbens von Mitarbeitern getroffen hatten. Das zeigt, dass der „War for Talents“ kartellrechtliche Dimensionen erreicht.
Für Unternehmen bedeutet das, dass sie ihr Compliance-Verständnis neu justieren müssen. Kritisch sind dabei auch schon informelle Absprachen am Rande von Stammtischen oder in Gesprächen zwischen Führungskräften. Ob es um Gehälter, zusätzliche Benefits wie Workation oder Schonfristen beim Recruiting geht – was zwischen Wettbewerbern abgestimmt wird, kann potenziell heikel werden.
Oft fehlt das Bewusstsein für diese Risiken, deshalb ist Awareness entscheidend, daher: Sensibilisieren und schulen. Nicht nur HR-Abteilungen müssen kartellrechtlich geschult werden, sondern auch Führungskräfte. Compliance-Programme sollten überprüft und um klare Anleitungen für den Umgang mit Informationen im Personalbereich ergänzt werden.
Neben diesen neuen Fragen des Kartellrechts wurden auch klassische arbeitsrechtliche Themen beleuchtet. Ein Beispiel sind Konkurrenzklauseln, die Arbeitnehmer nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses an einem Wechsel hindern sollen. Grundsätzlich sind solche Klauseln im österreichischen Angestelltengesetz geregelt. Ob ein Verstoß zugleich nach dem UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) zu werten ist, hängt von zusätzlichen Umständen ab – etwa wenn ein neues Unternehmen ausschließlich aufgrund von Spezialwissen gegründet wird, das beim früheren Arbeitgeber erworben wurde.
Ein weiterer wichtiger Baustein ist die „Verbandsklage neu“. Mit dieser können qualifizierte Einrichtungen wie Arbeiterkammer oder Gewerkschaften gesetzwidrige Praktiken im Interesse eines Kollektivs gerichtlich untersagen lassen – auch ohne dass ein individueller Schaden vorliegt. Bisher war die Verbandsklage vor allem im Verbraucherschutz verankert. Ob und wie sie künftig auch im Arbeitsrecht zum Einsatz kommt, ist eine offene, aber hochrelevante Frage. Denn die Möglichkeit, ganze Klauselwerke oder Personalpraktiken kollektivrechtlich überprüfen zu lassen, würde das Kräfteverhältnis am Arbeitsmarkt weiter verschieben.
Das Zusammenspiel von Arbeitsrecht, Kartellrecht und Compliance verdeutlicht, wie sehr sich die Anforderungen an Unternehmen verändern. Personalthemen sind längst nicht mehr nur eine Frage der HR-Abteilung. Sie sind strategischer Wettbewerbsfaktor und juristische Risikozone zugleich. Unternehmen, die in diesem Spannungsfeld bestehen wollen, müssen einerseits ihre Vertragswerke sauber gestalten und andererseits in ihren Compliance-Strukturen klare Spielregeln für den Umgang mit sensiblen Personalthemen verankern. Nur so lässt sich verhindern, dass der Kampf um Talente nicht vor Gericht, sondern auf fairem Terrain ausgetragen wird.