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Lehrlingsforum

In der Lehrlingsausbildung Halt zu geben, benötigt selbst ein stabiles Fundament. Interview mit Susanne Vietz

Susanne Vietz ist psychologischer Coach, Generationenmanagerin und spezialisiert auf „Train-the-Trainer“. Wir sprechen darüber, wie man Verantwortung teilt, Missverständnisse offen anspricht und ein Klima schafft, in dem junge Menschen Verantwortung übernehmen.

BC: Liebe Frau Vietz, in unserem letzten Interview vor etwas mehr als einem Jahr haben wir unter anderem darüber gesprochen, dass die Idee des Lebenslangen Lernens an Bedeutung gewinnt. Stellen Sie positive Entwicklungen in diese Richtung fest?

Susanne Vietz: Ja, das sehe ich. Vor allem, weil viele Ausbilder:innen verstanden haben, dass Lernen nicht aufhört, sobald die eigene Ausbildung abgeschlossen ist. Lebenslanges Lernen heißt heute auch: sich auf die jungen Generationen einzulassen und selbst neugierig zu bleiben. Früher war es üblich, Wissen einfach weiterzugeben. Heute braucht es mehr Begleitung und die Bereitschaft, auch selbst dazuzulernen. Das ist eine positive Entwicklung, die ich immer öfter erlebe.

BC: Sie betonen, wie wichtig es ist, Lehrlingen Halt zu geben. Aber was bedeutet „Halt“ konkret im Ausbildungsalltag?

Vietz: Halt heißt nicht, die Lehrlinge an die Hand zu nehmen und alles vorzugeben. Halt bedeutet: Orientierung geben. Verlässliche Strukturen, klare Absprachen und gleichzeitig die Sicherheit: „Wenn etwas nicht klappt, finde ich bei dir Gehör.“ In der Entwicklungspsychologie sprechen wir von einem sicheren und berechenbaren Rahmen - genau den brauchen junge Menschen, um mutig zu werden.

BC:  Ein schönes Zitat von Ihnen ist: „Wenn du Halt gibst, brauchst du selbst ein stabiles Fundament.“ Wie können Ausbilder dieses Fundament entwickeln?

Vietz: Indem sie sich zuerst selbst klarmachen, wer sie sind und wie sie führen wollen. Viele Ausbilder:innen übernehmen ihre Rolle „nebenbei“ - ohne sich mit den eigenen Werten und Grenzen auseinanderzusetzen. Ein Fundament entsteht, wenn ich weiß, was mir wichtig ist, wie ich mit Stress umgehe und wo meine Grenzen liegen. Das macht nicht unfehlbar, aber es gibt Sicherheit und genau die spüren auch die Lehrlinge.

BC: Daran anschließend: Viele Führungskräfte und Ausbilder sind selbst unter hohem Druck, insbesondere wenn die Lehrlinge nicht performen oder die Lehre abbrechen. Wie lässt sich am besten damit umgehen?

Vietz: Wichtig ist: Nicht alles persönlich nehmen. Wenn ein Lehrling nicht performt, heißt das nicht automatisch, dass ich als Ausbilder:in versagt habe. Oft steckt Unsicherheit, Überforderung oder schlicht eine Entwicklungsaufgabe dahinter. Mein Tipp: Ursachen verstehen, nicht nur auf Leistung schauen und den eigenen Handlungsspielraum sehen. Es hilft, Verantwortung zu teilen und nicht alles allein tragen zu wollen.

BC: Was verändert sich in der Qualität der Ausbildung, wenn Ausbilder beginnen, sich selbst besser zu verstehen? Und haben Sie Beispiele aus Ihrer Praxis, wo genau dieses „bessere Selbstverständnis“ den entscheidenden Unterschied gemacht hat?

Vietz: Alles! Ich erinnere mich an einen Ausbilder, der ständig frustriert war, weil seine Lehrlinge „zu wenig Eigeninitiative“ zeigten. Im Gespräch wurde klar: Er gab selbst alles sehr detailliert vor - aus dem Bedürfnis heraus, Fehler zu vermeiden. Sobald er verstanden hat, dass sein Kontrollverhalten eigentlich aus seiner eigenen Unsicherheit kam, hat er bewusst mehr Freiraum gelassen. Das Ergebnis: Die Lehrlinge haben tatsächlich mehr Verantwortung übernommen und er konnte loslassen. Solche Aha-Momente verändern die Qualität der Ausbildung spürbar.

Vorurteile über „die Jugend“ gab es schon immer – heute prallen aber noch mehr Welten aufeinander

BC: Generation Z wird oft als schwierig oder anspruchsvoll beschrieben - Vorurteile über „die Jugend von heute“ gab es ja schon immer. Was können Unternehmen, um Missverständnisse zu vermeiden?

Vietz: Vorurteile über „die Jugend von heute“ gab es schon immer. Der Unterschied ist: Heute prallen mehr Welten aufeinander - digital, analog, unterschiedliche Werte. Missverständnisse entstehen, wenn Betriebe glauben, man könne alles „wie früher“ machen. Was hilft: zuhören, fragen, die eigene Sicht erklären. Ich nenne das Übersetzen. Unternehmen brauchen Räume, in denen beide Seiten sagen dürfen, was ihnen wichtig ist. Das nimmt den Druck und schafft Verständnis.

BC: Abschließend: Wenn Sie einen Wunsch an Unternehmen hätten: Was sollte in der Lehrlingsausbildung als erstes verändert werden?

Vietz: Mein Wunsch wäre: Seht Ausbildung nicht nur als Fachvermittlung, sondern als Entwicklungsraum. Lehrlinge sind nicht nur da, um Abläufe zu lernen, sondern um zu wachsen. Wer Ausbildung so versteht, bildet Persönlichkeiten aus und genau die bleiben dem Unternehmen oft auch treu.

BC: Liebe Frau Vietz, wir danken Ihnen für dieses bereichernde Gespräch und freuen uns, Sie wieder bei unserem Lehrlingsforum zu begrüßen!

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