Was die Bundesschulsprecherin über die Lehre in Österreich zu sagen hat – Interview mit Hannah Scheidl
Business Circle: Nachdem sich unser Publikum da wahrscheinlich nicht so auskennt, was sind Ihre Aufgaben als Bundesschulsprecherin?
Hannah Scheidl: Sehr spannende Frage! Meine Aufgabe als Bundesschulsprecherin ist in erster Linie natürlich die Vertretungsarbeit. Von Mental Health bis hin zur Matura oder Lehre ist da alles an Forderungen dabei. Einige Forderungen haben wir in der Vergangenheit auch durchsetzen können, wie zum Beispiel die Einführung des österreichischen Schüler:innenparlaments, die Einführung des Faches Ethik oder Ähnliches. Was viele nicht wissen ist, dass wir mit 1,2 Millionen Schüler:innen in Österreich nur um 200.000 Menschen quasi weniger vertreten als der ÖGB, wenn man diesen mit seiner Mitgliederzahl vergleicht, was die Bundesschüler:innenvertretung eigentlich zur zweitgrößten Interessenvertretung in Österreich macht.
BC: In der Panel-Diskussion werden wir darüber sprechen „Das System Lehre neu aufzustellen“. Was bedeutet das konkret für Sie und wie können Sie Ihre Perspektive einbringen?
Scheidl: Für uns heißt das, die Lehre zukunftsfit zu machen und ihre Gleichwertigkeit zu anderen Bildungswegen zu sichern. Österreich hat über 200 Lehrberufe, viele davon modular und hoch spezialisiert. Damit diese Vielfalt eine echte Chance bleibt, müssen Lehrpläne modernisiert, Digitalisierung und KI-Kompetenzen in den Unterricht integriert und die Durchlässigkeit zu Matura und Studium erleichtert werden. Wir wollen, dass die Lehre nicht als Plan B gesehen wird, sondern als attraktiver Karriereweg mit vielen Möglichkeiten.
BC: Wie beurteilen Sie die schulische Berufsorientierung: Bekommen Jugendliche ausreichend Einblicke in Betriebe und Ausbildungswege – und was sollte anders gemacht werden?
Scheidl: Ehrlich gesagt: oft nicht. Berufsorientierung ist oftmals zu kurz und zu oberflächlich. Dabei zeigt die Statistik, wie breit die Lehre aufgestellt ist – von E-Commerce über Fahrradmechatronik bis hin zu klassischen Handwerksberufen. Viele Jugendliche kennen diese Chancen gar nicht. Deshalb fordern wir, dass die Lehre schon in der Sekundarstufe I als echte Option vorgestellt wird und Jugendliche rechtzeitig Informationen über Weiterbildung nach der LAP bekommen – sei es Meister, Fachkurse oder Studium. Berufsorientierung muss Perspektiven eröffnen, nicht nur Schnuppertage.
BC: Oft klagen Betriebe über unzureichend vorbereitete Lehrlinge, während Lehrlinge über mangelnde Unterstützung oder Praxisbezug berichten – wie kann es gelingen, diese Kluft zu überbrücken?
Scheidl: Damit beide Seiten zufriedener sind, braucht es klare Standards, bessere Begleitung und realistische Erwartungen. Betriebe sollten Lehrlinge stärker unterstützen – etwa durch Mentoring oder flexible Lernzeiten. Gleichzeitig müssen Schulen praxisnäher vorbereiten und die Anforderungen der Arbeitswelt transparent machen. Ganz entscheidend ist auch eine bundesweit einheitliche Lehrabschlussprüfung, damit Lehrlinge überall unter denselben Bedingungen bewertet werden und Betriebe wissen, was sie erwarten können.
Staatliche Förderungen müssen direkt den Jugendlichen zugutekommen
BC: Wenn Sie einen Wunschzettel an den Staat bzw. die Regierung schreiben könnten: Benötigen Ausbildungsbetriebe, um Lehrlinge besser ausbilden zu können – zum Beispiel Förderungen, Steueranreize, Entlastung bei Verwaltungsaufwand oder moderne Ausstattung?
Scheidl: Betriebe brauchen Entlastung bei Bürokratie und Investitionsunterstützung, damit sie sich auf Ausbildung konzentrieren können. Förderungen sollten gezielt dort wirken, wo die Lehrlingszahlen sinken, um auch in kleinen oder spezialisierten Berufen Ausbildung zu sichern. Uns ist wichtig: Diese Förderungen müssen direkt den Jugendlichen zugutekommen – durch moderne Werkstätten, digitale Tools und faire Bedingungen bei „Lehre mit Matura“ inklusive Freistellung während der Arbeitszeit.
BC: Welche Möglichkeiten sollten junge Menschen selbst ergreifen, um ihre Ausbildung aktiv mitzugestalten – sei es über Schülervertretungen, Jugendinitiativen oder digitale Vernetzung?
Scheidl: Wichtig ist es, engagiert zu sein und nicht nur den Wunsch der Verändung, sondern auch den Willen dazu mitzubringen. Sei es, dass man sich in der Schüler:innenvertretung engagiert oder andere demokratische Möglichkeiten nutzt. Auch digitale Vernetzung ist wichtig. Das Stichwort ist Plattform: Wenn sich Lehrlinge über ihre Anliegen austauschen können, fällt die Motivation fürs Mitmachen und engagieren leichter, da man sieht, dass auch andere vor denselben Herausforderungen stehen, wie man selbst und man somit auch Schwellen abbaut. Veränderung entsteht dort, wo man sich mit verschiedenen Perspektiven zusammensetzt und diskutiert, wie zum Beispiel im SGA.
BC: Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch und den Einblick in Ihre Sicht. Wir freuen uns auf noch mehr Input von Ihnen beim Lehrlingsforum!