TOPICS

EVENTS

PEx - Procurement Excellence Forum

Droh-Stoffe: Über die neue Fernbedienung der sich de-karbonisierenden Weltwirtschaft.

Fragen an Stephan A. Jansen
Wir leben als Wirtschaft vom Kapital und nicht vom Einkommen, vor allem was unsere Rohstoffe angeht.

Hans A. Pestalozzi, ehemaliger Migros-Manager

Deutschland lebte als rohstoffarmes Land lange gut, gilt das auch für die Zukunft?


Deutschland muss mehr als 90 Prozent der benötigten Rohstoffe importieren und ist in gleich dreifacher Weise verletzlicher geworden:

1. Die dekarbonisierte, grüne Wirtschaft wird bei den aktuell dafür relevanten Rohstoffen noch importabhängiger.

2. Die Zahl der Lieferländer ist bei Seltenen Erden und weiteren relevanten Rohstoffen sehr klein.

3. Die wenigen Lieferländer sind oft keine Demokratien und müssen keine verlässlichen Handelspartner bleiben.

Ist das die gefürchtete neue Geoökonomie?


Rohstoffe sind potenziell Droh-Stoffe. Ein Beispiel: Zum August 2023 hat das chinesische Handelsministerium die Ausfuhr von Metallen erschwert, die für die Batterieproduktion relevant sind. Das betraf auch die Lieferung von Germanium nach Deutschland. Auch wenn die Exportbeschränkungen jüngst wieder etwas aufgeweicht wurden, zeigt das Beispiel, dass Rohstoffe wie die Fernbedienung nationaler Wertschöpfung wirken können. Besonders China verstärkt seit vielen Jahren seinen Einfluss auf den Zugriff von Rohstoffen, strategisch und operativ: bei der Gewinnung, bei Partnerschaften, Finanzierung, Logistik und Infrastruktur durch Beteiligungen und Entwicklungshilfe für ressourcenstarke Länder.

Deutschland ist aber auch nicht untätig.

Nein, aber zu zögerlich in der Umsetzung. Konkret: Im Jahr 2010 wurde vom Bundeswirtschaftsministerium eine deutsche Strategie für nicht energetische, mineralische Rohstoffe vorgestellt. Es ging nicht nur um den Handel damit, sondern auch um die Entwicklung von Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern. Vor allem gemeinsame Rohstoffprojekte mit lokalen Partnern sollten den Zugang zu diesen Ressourcen verbessern – im Gegenzug zu deutschem Industrie Know-how-Transfer in die Partnerländer. So gut dieser Leitgedanke auch war, so wenig kam dabei heraus: Die Rohstoffpartnerschaften mit der Mongolei (seit 2011), Kasachstan (seit 2012), Chile (seit 2013) und Peru (seit 2014) haben ihr eigentliches Ziel – die stabile Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft – nicht erreicht.

Was folgt daraus?

Im Januar 2020 wurde die neue Rohstoffstrategie von der Bundesregierung verabschiedet. Sie umfasst 17 konkrete Maßnahmen bei heimischen Rohstoffen, Importen und Recycling. Das industriepolitische Ziel der Bundesregierung ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken und die Arbeitsplätze in diesem Sektor zu erhalten, besonders für die Automobilindustrie.

Was wurde konkret getan?

2010 wurde die Deutsche Rohstoffagentur als Teil der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe gegründet. Laut deren Situationsbericht für das Jahr 2022 besteht ein Importdruck besonders bei Metallen, einzelnen Industriemineralien und Energierohstoffen – mit Ausnahme von Braunkohle. Dementsprechend importierte Deutschland etwa 343 Millionen Tonnen Rohstoffe im Gesamtwert von 311 Milliarden Euro. Die Rohstoffimporte machten ungefähr 20 Prozent aller gesamtdeutschen Importe aus. In Deutschland als einem der führenden Industrieländer werden sehr viele mineralische Rohstoffe wie Sand, Kies und Steine verbracht. Sie stammen aus heimischen Lagerstätten. Hier gilt es die Eigenversorgung des Landes zu sichern, was laut Bericht der Deutschen Rohstoffagentur gelungen sein soll.

Was kennzeichnet den Rohstoffmarkt Deutschland sonst noch?

Interessant sind drei Statistiken des Umweltbundesamtes aus dem März 2024:

1. Danach importiert Deutschland mengenmäßig mehr Güter und Rohstoffe, als es exportiert, hat aber wertmäßig einen Überschuss. Für uns Menschen gibt es den nicht, wohl aber für die Ressourcen des ausgebeuteten Planeten.

2. Gleichzeitig steigt die Rohstoff-Produktivität aktuell erfreulich – bei vergleichsweise konstantem Mengen- Einsatz zwischen 2010 und 2019 um allein zwölf Prozent: Was wertvoller wird, wird effizienter genutzt.

3. Allerdings ist dieser Fortschritt mit sehr hohen Umweltauswirkungen verbunden: 40 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen sind auf den Abbau und erste Verarbeitungsschritte von Rohstoffen zurückzuführen.

Welche Auswirkung haben die verschiedenen Krisen und Kriege?

Seit 2020 die neue Strategie verabschiedet wurde, wurden nahezu alle Annahmen über unsere Rohstoff-Versorgung hinfällig: Die Pandemie hatte Folgen für Lieferketten und Logistik, der russische Angriffskrieg und der Krieg in Gaza haben zu steigender geopolitischer Unsicherheit geführt.

Wer profitiert von dieser Lage?

Differenziert man zwischen Bergwerkförderung, Raffinade-Produktion und Raffinade-Verbrauch, zeigt sich: Überall führt China. Noch bedeutsamer ist, dass China knapp 45 Prozent der weltweit raffinierten Basismetalle produziert und zu gut 50 Prozent auch selbst verbraucht. Die USA hingegen verbrauchen das Dreifache der eigenen Raffinade, die EU verbraucht knapp 75 Prozent mehr, als sie produziert.

Was könnte die EU tun?

Die Grundidee des europäischen Grünen Deals war: Allianzen statt Abhängigkeiten. Dennoch nehmen diese Abhängigkeiten zu, durch erwartbare Rebound-Effekte eines grünen Kapitalismus bei allen 23 Rohstoffen, die von der EU-Kommission als essenziell für die nächsten Schlüsseltechnologien definiert wurden. Konkret betrifft das Windkraft, Solarindustrie, Batterieproduktion, Halbleiter- und Elektronikindustrie – mit der Abhängigkeit besonders von China. Dort kauft die EU knapp 100 Prozent ihrer Seltenen Erden ein. Da braucht es also Risikominimierung und – wie immer bei Nachhaltigkeit – den Dreiklang Reduce/Reuse/Recycle, wozu auch eine umweltfreundlichere Alternative für die Lieferketten gehört. Das europäische Lieferkettengesetz könnte dazu beitragen.

Was wären die Konsequenzen?

Die derzeitigen einseitigen Abhängigkeiten erfordern Maßnahmen, die zu deutlichen Kostensteigerungen führen werden. Notwendig sind Kooperationen im Einkauf, erhöhte Lagerhaltung, Recycling und alternative Produkte, die ohne kritische Rohstoffe auskommen. Einfacher wird es also nicht, wenn es sicherer werden soll.

Ist das denn realistisch?

Eher nein. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, 2030 mindestens 40 Prozent des jährlichen Verbrauchs an kritischen Rohstoffen EU-intern zu verarbeiten beziehungsweise zehn Prozent selbst zu gewinnen – dieses Ziel wird sie klar verfehlen.

Wo sollen wir dann die Rohstoffe fördern? Im Weltraum?

Der Weltraumbergbau ist paradoxerweise die so naheliegende wie ferne Hoffnung, dass wir die Grenzen der mineralen Versorgung nicht etwa geopolitisch oder durch ein verändertes Verhalten lösen können, sondern extraterrestrisch. Irgendwie wirkt es wie eine Science-Fiction aus den Sechzigerjahren, die genauso weiterlebt wie die Illusion, wir fänden einen weiteren Planeten.

Rechtlich ist da viel vorgedacht: 1967 trat der allgemeine Weltraumvertrag in Kraft, mit dem Verbot, dort Militärbasen zu betreiben oder Nuklearwaffen zu stationieren. 1979 wurde der Mondvertrag ausverhandelt – mit der Auffassung, die Ressourcen dort sollten der ganzen Menschheit gehören. Anders als die 114 Staaten, die bis heute den Weltraumvertrag ratifiziert haben, sind es beim Mondvertrag lediglich 18 Staaten. Wer fehlt? Russland, China und die USA.

Mächtige rohstoffhungrige Nationen haben sich formiert, wie genau, kann im globalen Weltraumbergbau-Marktbericht nachgelesen werden. Frankreich und Großbritannien sind aus Europa dabei. Es bleibt zu hoffen, dass der Welt die Welt genug ist. Aber viel spricht gerade nicht dafür.

Das Interview erschien zuerst im brand eins magazin - Ausgabe 05/2024.

Stephan Jansen wird beim Procurement Excellence Forum eine Keynote zum Thema "Good Buy?! Zwischen Nahversorgung und Fernbedienung" und über die strategische Rolle des Einkaufs im Spannungsfeld von Geoökonomie und Geopolitik, Regulatorik und technologischen Entwicklungen halten.

Text Link
Strategy & Industries
Text Link
Innovation