Prof. Dr. Stephan A. Jansen über Gesunde Transformation
Gesellschaft im Wandel: Von der Erschöpfung zur zweiten Luft
Transformation ist kein disruptives Feuerwerk, sondern ein zähes Ringen um Fortschritt. Sie erfordert Beharrlichkeit, Lernfähigkeit und das, was man „die zweite Luft“ nennen könnte – den Moment, in dem Organisationen und Menschen nach einer Phase der Erschöpfung wieder Energie gewinnen. Genau wie im Sport ist Transformation ein physiologisch-psychologischer Prozess: Wer am Limit ist, kann bei richtigem Stoffwechsel noch einmal Kraft schöpfen. Unternehmen, die diesen Punkt erreichen, sind auch zu echter Erneuerung fähig – nicht durch spektakuläre Brüche, sondern durch Ausdauer, Anpassung und ein neues Bewusstsein für Sinn.
Die Krisen unserer Zeit – vom Klimawandel bis zur sozialen Spaltung verführen leicht dazu, Veränderung mit Aktionismus zu verwechseln. „Change Management“ ist oft nur „Change the Management“. Erfolg haben jene, die den langen Atem behalten und komplexe Prozesse aushalten können. Transformation kann gelingen, wenn unterschiedliche Geschwindigkeiten in Organisationen akzeptiert und Betroffene zu Beteiligten werden. Beispiele dafür sind Unternehmen wie Nokia oder Fujifilm, die sich vom alten Kerngeschäft aus neu erfunden haben. Sie haben das langfristig Notwendige kurzfristig mehrheitsfähig gemacht.
Von der Nachhaltigkeit zur Sozialtaxonomie
Transformation soll zu besserer Nachhaltigkeit führen, so weit, so klar. Aber wie schaut es mit der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit aus? Was notwendig wäre, ist eine Neubewertung der sogenannten ESG-Kriterien. Während Umweltaspekte (das „E“) längst im Mittelpunkt stehen, liegt die Zukunft in der Sozial-Taxonomie. Diese richte den Blick auf Menschenwürde, Arbeitsbedingungen, Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe – und damit auf die Basis einer resilienten Ökonomie.
Historisch ist die Idee in Europa verankert: Schon im 19. Jahrhundert schufen Unternehmer wie Krupp, Siemens oder Waldorf-Astoria soziale Strukturen – Krankenkassen, Werkswohnungen, Schulen. Heute muss die Wirtschaft diese Haltung neu beleben, Altruismus ist dabei keine Sozialromantik, sondern ökonomische Vernunft. Mentale und physische Gesundheit sind Produktionsfaktoren geworden. Unternehmen, die in Vorsorge, Inklusion und psychische Stabilität investieren, schützen nicht nur die mitarbeitenden Menschen, sondern auch Produktivität und Reputation.
Mentale Gesundheit ist dabei kein Privatproblem, sondern ein gesellschaftlicher Standortfaktor. Fast ein Drittel aller Arbeitsunfähigkeiten in Deutschland haben psychische Ursachen; das kostet Milliarden. Die nächste Stufe sozialer Nachhaltigkeit sollte daher Gesundheit, Bildung und emotionale Stabilität systematisch in Unternehmensstrategien integrieren. Aber genau wie bei „Green Washing“ kann es auch „Social Washing“ geben– das bloßen Vortäuschen sozialer Verantwortung. Eine gesunde Transformation beginnt, wenn Unternehmen erkennen, dass gesunde Belegschaften und gesunde Gemeinschaften langfristig den gemeinsam größten Nutzen bringen.
Generation Z, Kulturwandel und die Wirtschaft der Gefühle
Wem nutzt das inflationär „Generationengerede“, das jede Alterskohorte gegeneinander ausspielt? Diese Polarisierung ist selbst Teil der Aufmerksamkeits.Ökonomie – sie liefert nämlich Schlagzeilen, Klicks und Beratungsformate. Tatsächlich aber sind Generationen keine Gegner, sondern „überlappende Wellen“, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Fixierung auf Konflikte zwischen Babyboomern, Millennials und Gen Z verdeckt die eigentlichen kulturellen Fragen: Wie wollen wir Arbeit, Verantwortung und Wohlstand künftig verteilen? Wie lässt sich ein Generationenvertrag erneuern, der auf Gegenseitigkeit und Vertrauen basiert?
Junge Menschen haben ein wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit, mentale Gesundheit und Sinnorientierung. Studien zeigen, dass Bewerber zunehmend Arbeitgeber ablehnen, die kein ESG-Engagement zeigen. Damit wird „soziale Nachhaltigkeit“ zur neuen Erfolgsgarantie im War for Talents. Aber wie alles Gute und Richtige kann man auch das übertreiben: Die permanente Selbstoptimierung – körperlich, digital, moralisch – führt meist zur Erschöpfung des Schöpferischen. Wie geht man damit um: Keine weitere Beschleunigung, sondern ein kultureller Wandel hin zu Fürsorge, Balance und kluger Regeneration.
Gesunde Transformation als kultureller Auftrag
Ob in Unternehmen oder in der Gesellschaft: unsere Gesellschaft steht an Wendepunkten, an welchen Gesundheit, Sinn und Nachhaltigkeit zur zentralen Steuerungslogik werden. Erschöpfung und Verknappung sind ökonomische Denkweisen der Vergangenheit, Unternehmen müssen eine Kultur der Regeneration fördern – ökologisch, sozial und mental. Dafür gibt es viele Beispiele: Familienunternehmen, die in ländlichen Regionen Kindergärten oder Mobilitätsangebote schaffen; Industriebetriebe, die aus eigener Kraft Gesundheitsinitiativen starten; Start-ups, die mit KI Lösungen für Bildung und Pflege entwickeln.
Transformation bedeutet also nicht nur technologische Innovation, sondern eine kulturelle Evolution – vom Krisenmodus hin zu einem neuen Selbstverständnis von Verantwortung. Die zweite Luft ist nicht nur ein biologisches Bild aus dem Sport, sondern eine gesellschaftliche Hoffnung: Dass wir nach Phasen der Erschöpfung wieder zu Atem kommen – und daraus eine Wirtschaft formen, die nicht nur wächst, sondern heilt.

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