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Grüne Energie als das neue Gold: Jürgen Hürner, Stadtwerke Amstetten im Interview

Jürgen Hürner ist Geschäftsführer der Stadtwerke Amstetten. Wir sprechen über Wege, wie man im Sinne von „think global, act local“ grüne Energie real umsetzen, Bürokratie mutig abbauen und die Transformation verankern kann.

Business Circle: Sehr geehrter Herr Hürner, eingangs etwas Persönliches: Sie stehen an der Spitze der Stadtwerke Amstetten – mit Fokus auf Innovation und Nachhaltigkeit. Was bedeutet für Sie persönlich der Begriff „Energiewende“?

Jürgen Hürner: Für mich ist die Energiewende ein zweifacher Auftrag. Einerseits emotional und idealistisch motiviert: ich wünsche mir, meiner Tochter Ella eine lebenswerte, nachhaltige Welt zu hinterlassen. Andererseits sehe ich sie als wirtschaftlich-pragmatische Notwendigkeit: Es geht darum, Wertschöpfungsketten möglichst regional zu verankern, um als Wirtschaftsstandort resilient und zukunftsfähig zu bleiben. Das schafft Stabilität, sichert Arbeitsplätze und stärkt unsere Region nachhaltig.

BC: Sowohl die USA als auch die BRICS-Staaten (also quasi alle anderen großen Wirtschaftsmächte) setzen auf Atomkraft und fossile Energie: Bildet sich Europa mit seiner nachhaltigen Energieagenda etwas ein – oder führt es die Zukunft an?

Hürner: Europa hat, nicht zuletzt durch seine aufklärerische Tradition, ein tiefes Verständnis dafür entwickelt, dass wirtschaftlicher Fortschritt immer auch mit sozialem Ausgleich einhergehen muss. Nachhaltigkeit bedeutet für mich nicht nur technologische Innovation, sondern auch Verantwortung gegenüber kommenden Generationen. Bestimmte Technologien, die heute Probleme wie Luftverschmutzung oder morgen die Last der Endlagerung erzeugen, widersprechen diesem Ansatz. Europa zeigt, dass es möglich ist, Wohlstand mit Umwelt- und Sozialverantwortung zu verbinden – und übernimmt damit eine führende Rolle in diesem Bereich.

BC: Wie kann es gelingen, mittels grüner Energie neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen – auch abseits der großen urbanen Zentren?

Hürner: Indem wir auf vertikale und regionale Wertschöpfung setzen. Ab Juli werden wir in Amstetten beispielsweise unsere neuen E-Busse nachts mit Strom aus unserem eigenen Laufwasserkraftwerk laden – direkt vor Ort im Netzgebiet. Die Energie bleibt in der Region, die Wertschöpfung ebenso: Unsere Mitarbeiter:innen wohnen in der Nähe und geben ihr Einkommen wieder lokal aus. Im Gegensatz dazu verschwindet jeder mit Diesel importierte Euro sofort aus dem regionalen Wirtschaftskreislauf. Das zeigt: Nachhaltigkeit schafft reale Jobs – dort, wo die Menschen leben.

BC: „Think global – act local“ heißt es oft. Welche Rolle spielen Stadtwerke einer 24.000 Einwohner-Stadt wie Amstetten, wenn es um konkrete Energielösungen, Versorgungssicherheit und Einbindung von Wirtschaft und Endverbrauchern geht?

Hürner: Wir sind ein idealer Proof-of-Concept-Standort. Durch unsere überschaubare Größe können wir Innovationen schnell umsetzen und testen – sei es technologisch, wirtschaftlich oder regulatorisch. Gleichzeitig achten wir darauf, was skalierbar ist und lokal bleibt. Ein Beispiel: Unser Blackout-Konzept ist spezifisch auf Amstetten zugeschnitten und nicht 1:1 übertragbar. Aber die Lernkurven, die wir dabei machen, sind auch für größere Städte wertvoll.

BC: Daran anschließend: Welche Projekte oder Partnerschaften treiben Sie aktuell besonders voran – und wo sehen Sie den größten Hebel für nachhaltige Wirkung vor Ort?

Hürner: Wir denken sektorübergreifend. Etwa durch die Kombination aus 120 Jahre alter Wasserkrafttechnologie mit moderner E-Mobilität im ÖPNV (Öffentlicher Personalnahverkehr). Wir investieren hier in Energiespeicherlösungen: Statt eines Dieselgenerators setzen wir bei unserem neuen Hochbehälter auf ein intelligentes Notstromkonzept mit Lithium-Ionen-Speicher. Parallel bauen wir PV-Anlagen auf Dächern und Freiflächen massiv aus (bis zu 20 MW), um den Betrieb unseres 4,8-MW-E-Ladeparks abzusichern und uns vom volatilen Strommarkt unabhängiger zu machen. Auch Power-to-Heat-Lösungen zur Integration von Fernwärme stehen im Fokus. Ziel ist es, durch technologischen Mix größtmögliche Resilienz und Nachhaltigkeit zu schaffen.

Abbau von Bürokratie wäre ein echter Hebel

BC: Wenn Sie einen Wunsch an die Politik frei hätten, was wäre das?

Hürner: Ein klares politisches Commitment: "Ja, wir wollen ein Energiesystem, das zu einem hohen Anteil auf Erneuerbaren basiert – bei Strom und Wärme." Dafür brauchen wir klare Zielpfade, verbindliche Meilensteine und praktikable Förderungen. Ein Beispiel: Carport-PV-Anlagen sind aufgrund hoher spezifischer Kosten kaum wirtschaftlich für Endkund:innen – gezielte Förderungen könnten hier enorm helfen und gleichzeitig die Diskussion um Bodenversiegelung entschärfen. Auch der Abbau von Bürokratie wäre ein echter Hebel – aber das ist vermutlich kein neuer Wunsch.

BC: Und abschließend: Was möchten Sie anderen Kommunen mitgeben, die mutiger in Richtung einer grünen Energiezukunft aufbrechen wollen?

Hürner: Wichtig ist ein aktives Gestalten – mit politischem Rückhalt über Parteigrenzen hinweg. In Amstetten haben wir es geschafft, durch gezielte Projekte neue Arbeitsplätze zu schaffen, die regionale Wertschöpfung zu stärken und gleichzeitig das Gemeindebudget positiv zu beeinflussen. Die Energiewirtschaft befindet sich in einem historischen Wandel – und in solchen Zeiten entstehen Spielräume. Diese gilt es zu nutzen. Und ja: Geschwindigkeit ist ein entscheidender Erfolgsfaktor.

BC: Sehr geehrter Herr Hürner, wir danken Ihnen für das aufschlussreiche und engagierte Gespräch und freuen uns schon, im Rahmen der „Renewables meets Industries“ mehr davon live zu hören.

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