Kaufen wir uns grün? Interview mit Maximilian Reindl
Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Reindl, Sie forschen Emissionszertifkate und haben sich in Ihrer Dissertation intensiv damit beschäftigt. Wenn Sie ehrlich bilanzieren: Hat der Emissionshandel bisher mehr Klimaschutz oder mehr Bürokratie gebracht?
Maximilian Reindl: Die Zwischenbilanz des Europäischen Emissionshandelssystems, das bereits 2005 für größere Industrieanlagen und Stromerzeuger eingeführt wurde, fällt insgesamt durchaus beeindruckend aus: In Österreich konnten die Emissionen in den betroffenen Sektoren seither um mehr als 33 Prozent reduziert werden, während sie in den nicht erfassten Sektoren um 25 Prozent zurückgingen. Zugleich ist der administrative Aufwand für die betroffenen Unternehmen enorm – insbesondere in Bezug auf die Überwachung und Berichterstattung der Emissionen. Angesichts der hohen ökologischen Wirksamkeit erscheint dieser Aufwand jedoch sachlich gerechtfertigt.
BC: In der EU wird das Emissionshandelssystem II ab 2027 eingeführt. manche sehen darin den großen Hebel für Klimaschutz, andere wiederum ein reines Umverteilungsinstrument. Wo liegen aus Ihrer Sicht Chancen und Risiken dieses neuen Systems?
Reindl: Emissionshandelssysteme überzeugen vor allem durch ihre Zielgenauigkeit: Die ausgegebene Menge an Zertifikaten begrenzt den CO2-Ausstoß und stellt sicher, dass die Reduktionsziele tatsächlich erreicht werden – ganz gleich, wie hoch die Nachfrage ausfällt. Das EU-ETS II verteuert fossile Kraft- und Heizstoffe. Diese gelten als höchst unelastische Güter – das heißt, Preissteigerungen beeinflussen das Nachfrageverhalten tendenziell gering. Die Zertifikatspreise müssten daher wohl deutlich steigen, um die gewünschten Verhaltensänderungen herbeizuführen. Darin liegt zugleich das Risiko sozialen Unmuts.
BC: Wenn klare Standards fehlen, entstehen Grauzonen. Braucht es aus Ihrer Sicht eine internationale Regulierung des freiwilligen Markts – oder wäre das das Ende seiner Innovationskraft?
Reindl: Freiwillige Kompensationsprojekte leisten letztlich nur dann einen echten Beitrag zum Klimaschutz, wenn sie zusätzliche CO₂-Einsparungen gewährleisten – also Emissionen vermeiden, die andernfalls verursacht worden wären. Der freiwillige Zertifikatemarkt ist in den vergangenen Jahren zunehmend in die Kritik geraten. Anfang 2023 sorgte etwa eine Studie für Aufsehen, der zufolge mehr als 90 Prozent der Regenwaldschutz-Zertifikate des weltweit größten Anbieters Verra keinen nachweisbaren Nutzen für das Klima stiften. Untersucht wurden dabei Projekte, die sicherstellen sollten, dass bestehende Wälder nicht abgeholzt werden. Die Forschenden kamen jedoch zum Ergebnis, dass viele dieser Wälder auch ohne finanzielle Anreize nicht gerodet worden wären – der behauptete Klimaschutzeffekt also nicht gegeben ist. Um die Glaubwürdigkeit des freiwilligen Markts zu sichern, braucht es verbindliche internationale Standards, deren Einhaltung und Wirksamkeit regelmäßig geprüft wird.
BC: Viele Unternehmen nutzen Offsetting, um Klimaneutralität zu kommunizieren. Ist das eine legitime Übergangslösung oder Greenwashing mit etwas wissenschaftlicherem Anstrich?
Reindl: Die Beantwortung dieser Frage knüpft nahtlos an die vorhergehende an. Wenn international bekannte Unternehmen CO₂-Kompensationszertifikate lediglich erwerben, um ihre Produkte als „klimaneutral“ zu vermarkten und Konsument:innen das Gefühl zu vermitteln, sie könnten fliegen oder Kleidung kaufen, ohne zur Klimakrise beizutragen – ohne zugleich zu überprüfen, ob mit den Zertifikaten tatsächlich Emissionen eingespart werden –, dann bewegen wir uns im Bereich des Greenwashings. Gleichzeitig sollte das Instrument des „Carbon Offsetting“ nicht grundsätzlich diskreditiert werden. Aus meiner Sicht können und werden CO2-Kompensationszahlungen eine zentrale Rolle bei der Erreichung der Pariser Klimaziele einnehmen – insbesondere beim Ausgleich jener Restemissionen, die sich mittelfristig technisch oder wirtschaftlich kaum vermeiden lassen.
Dem Weltklima ist nicht geholfen, wenn energieintensive Industrien einfach abwandern
BC: Wieviel CO₂ global emittiert wird, entscheidet sich längst nicht mehr in Europa, sondern in China, Indien und den USA. Ist der europäische Emissionshandel also ein globales Vorbild – oder ein moralischer Alleingang?
Reindl: Weltweit werden mittlerweile rund 28 Prozent der Emissionen durch Emissionshandelssysteme oder CO₂-Steuern bepreist – von einem moralischen Alleingang Europas kann daher keine Rede sein. Aus europäischer Perspektive ist entscheidend, die Höhe der CO₂-Bepreisung sorgfältig im Blick zu behalten. Dem Weltklima ist nicht geholfen, wenn energieintensive Industrien, die in Europa bereits vergleichsweise klimafreundlich produzieren, in Länder mit deutlich geringeren Umweltstandards abwandern.
BC: Abschließend: Wenn die großen US-Banken und jetzt sogar ein Tech-Milliardär wie Bill Gates sich vom „Klima-Business“ abwenden, ist das ein Warnsignal? Oder nur ein Beleg dafür, dass dort anders gerechnet wird als in Brüssel? Was erwarten Sie hier für die nächsten Jahre?
Reindl: Die Teuerung hat in den vergangenen Jahren vielerorts dazu geführt, dass Klimaschutz an politischer Priorität verloren hat – dabei darf er kein „Luxusprojekt“ für gute Zeiten sein. Angesichts der IPCC-Szenarien mit einer möglichen Erwärmung von drei bis vier Grad bis 2100 ist die Dringlichkeit evident. Ich glaube an einen internationalen Schulterschluss beim Ausbau und der Vernetzung von Emissionshandelssystemen, da diese die CO₂-Emissionen besonders effizient reduzieren können.
BC: Vielen Dank für diese informative und aufschlussreiche Einordnung – wir freuen uns darauf, beim Sustainability Summit noch mehr davon zu hören.

.png)

%2520-%2520Kopie.jpeg)
.png)

.jpg)
%20(Copy).jpg)
.jpg)