Legal Innovation zwischen KI-Hype und juristischer Realität: Rainer Knyrim im Gespräch.
Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Knyrim, Was bedeutet "Legal Innovation" für Sie persönlich und in der Praxis?
Rainer Knyrim: Legal Innovation ist integrierter Bestandteil unserer Kanzlei. Wir sind 2017 als erste österreichische Datenschutz-Boutique-Kanzlei gestartet und haben sofort damit begonnen, ein Verarbeitungsverzeichnis für unsere Mandanten für die DSGVO-Compliance zu entwickeln. Zuerst in Form einer Excel-Tabelle, als diese dann über 2000 Zeilen Programmcodes enthielt, haben wir das Projekt komplett neu als Online-Tool programmieren lassen. Daraus ist über die Jahre ein umfangreiches DSGVO-Compliance-Tool geworden, das unsere Mandanten – und wir im Austausch mit ihnen – kooperativ nutzen können. Mittlerweile bieten wir dieses auf Wunsch auch Nicht-Mandanten an. Diese Entwicklung hat uns gezeigt, dass man auch als relative kleine Kanzlei Lösungen für spezielle Rechtsgebiete erfolgreich entwickeln und anbieten kann.
BC: Welche externen Faktoren werden die Rechtsbranche in den nächsten fünf Jahren am stärksten verändern?
Knyrim: Da wir mittlerweile nicht nur im Datenschutzrecht beraten, sondern in allen neuen Digitalisierungsrechtsakten der EU wie Data Act, AI-Act, DSA, NIS2 etc waren wir in den letzten 3 Jahren schon stark von dieser neuer Regulatorik betroffen, da wir uns in der Beratung auf diese einstellen mussten. Die immer rasanter fortschreitende Digitalisierung und deren rechtliche Regelung wird unsere Kanzlei weiter beschäftigen. Der mit Abstand wichtigste Faktor in den nächsten Jahren wird wohl die rasante Entwicklung und Integration von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) sein. Wir verwenden in der Kanzlei seit einigen Jahren KI-Übersetzungssysteme für rasche Maschinenübersetzungen, die uns ermöglichen, zB auch Entscheidungen der slowenischen oder niederländischen Datenschutzbehörde im Volltext zu lesen. Wir haben im letzten Jahr einige KI-Tools mit konkreten Use-Cases getestet, die Test dann aber abgebrochen, vor allem weil einer unserer Juristen, der auch Wirtschaftsinformatik an der TU studiert hat, uns ein maßgeschneidertes KI-Recherche-Tool gebaut hat, dass mehr konnte, als jene, die wir getestet haben. Anfang nächsten Jahres werden wir Testkanzlei für das erste On-Premise-KI Tool speziell für Rechtsanwaltskanzleien. Dieses wird es uns erstmals ermöglichen, ohne datenschutzrechtlich problematischen Upload in Cloud-Lösungen unseren gesamten Wissensbestand lokal in unserer Kanzlei mit KI zu bearbeiten. Überdies soll es auch administrative Aufgaben im Zusammenhang mit unserer bestehenden Kanzleisoftware effizienten erledigen helfen.
BC: Welche Rolle spielt KI in der modernen Rechtsabteilung im Jahr 2025 und darüber hinaus?
Knyrim: Wir sehen bei unseren Mandanten, dass diese mittlerweile KI einsetzen, um rechtliche Agenden zu bearbeiten, weil sie hoffen, dass diese die Kosten für die Rechtsberatung senkt, wenn sie mit KI vorgefertigte Texte zur Durchsicht an uns senden. Da wir als hochspezialisierte Kanzlei unsere Digitalisierungsrechtsthemen „im kleinen Finger“ haben und über eine ausgiebige, selbst entwickelte Mustersammlung verfügen, ist das oft ein Trugschluss. Den Unsinn, den LLMs teilweise von sich geben, zu korrigieren ist oft ein höherer Aufwand, als eben zB unsere Muster zu verwenden, die sich über Jahre bewährt haben.
Weiters sehen wir, dass Rechtsabteilungen mittlerweile gehäuft Auskunfts- und Löschersuchen nach DSGVO von Kunden oder Ex-Mitarbeitern erhalten, die von diesen mit LLMs produziert werden. Das Ergebnis sind mittlerweile zum Teil 10-15-seitige „Schriftsätze“, die voller juristischer Halbrichtigkeiten sind und daher die Bearbeitung solcher Ansuchen deutlich zeitaufwändiger machen als bisher, als einfach kurze, aber meist sehr ähnliche und juristisch korrektere Muster aus dem Internet dafür kopiert wurden. Daher hat sich auch unsere Rechtsberatung mittlerweile in die Richtung geändert, dass wir immer öfter „gegen“ LLM-Output kämpfen und nicht mehr gegen menschengemachte Texte.
BC: Wie schafft man den Spagat zwischen traditionellen, bewährten juristischen Methoden und der Notwendigkeit zur Innovation?
Knyrim: Wir als Kanzlei waren, wie oben geschrieben, von Anfang an innovativ und haben unsere Mandanten nicht nur theoretisch juristisch beraten, sondern auch operativ ins Tun gebracht, in dem wir ihnen ein Tool in die Hand gegeben haben, dass wir selbst täglich benutzten und daher so entwickelt haben, dass man damit in der Praxis wirklich gut und schnell arbeiten kann.
Der Spagat erfordert in erster Linie Change Management und eine offene Kultur. Es geht darum, Technologie als Ergänzung zur juristischen Expertise zu sehen, nicht als Ersatz. Die Strategie sollte unserer Ansicht sein, mit kleinen, spezifischen Anwendungsfällen zu beginnen, die messbare Vorteile bringen und die man stückweise weiterentwickelt und in die von Anfang an die Mitarbeiter eingebunden werden. Wir sehen bei Mandanten und in unserem eigenen Team, dass die Euphorie im aktuellen KI-Hype bei vielen Mitarbeitern zunächst oft groß ist, wenn sie dann aber die Ergebnisse sehen, folgt Ernüchterung und wenn sie diese Ergebnisse dann auch noch verbessern müssen, komt auch Frustration.
Sich selbst intensiv mit neuen Technologien und deren rechtlicher Regelung auseinandersetzen, um erfolgreich zu bleiben.
BC: Welche Fähigkeiten benötigen Juristen in Zukunft, um in einem innovativen Umfeld erfolgreich zu sein?
Knyrim: Neben traditionellem juristischem Fachwissen sind neben dem vorgenannten Change Management weiterhin – trotz LLMs - kritisches Denken und präzise juristische Arbeit erforderlich.
Gleichzeitig ist aber Technologieaffinität erforderlich und die Fähigkeit, weit in die Zukunft zu blicken. Als ich mit 13 Jahren in der Schule das Freifach „Maschinschreiben“ belegte, fragten mich alle, warum ich das mache, denn es war völlig „out“. Wir schrieben nämlich noch auf rein mechanischen, uralten Schreibmaschinen. Mein Vater hatte aber immer wieder seinen ersten kleinen tragbaren Bürocomputer aus seiner Arbeit nach Hause gebracht und mir war klar, dass diese in spätestens 10 Jahren künftig überall in den Büros und auch zu Hause verwendet würden. Ein Jahr später schrieb ich ihm eine kleine Software für seine Firma darauf und verdiente mein erstes Geld. Dann, als frisch gebackener Anwalt – genau vor 25 Jahren – begann ich mich intensiv auf das Thema Datenschutzrecht auszurichten. Auch das verstand damals niemand, vor allem die Rechtsanwaltskollegen nicht, denn man arbeitete noch immer viel mit Fax und das iPhone und Social Media waren noch lange nicht erfunden. Mir war aber klar, dass die fortschreitende Digitalisierung unser Leben durchdringend würde und hatte damit recht. Ich trage derzeit etwa auf Wunsch eines österreichischen Start-Ups sogar einen Blutzuckersensor in der Haut, der die Messwerte direkt über Bluetooth an eine App sendet. Für das Startup habe ich nun einen Antrag auf Zurverfügungstellung dieser „Maschinendaten“ unter dem Data Act an den Hersteller der Sensoren gestellt, da das Startup selbst diese nicht vom Hersteller erhielt. Juristen müssen sich selbst intensiv mit neuen Technologien und deren rechtlichere Regelung auseinandersetzen, um in einem innovativen Umfeld erfolgreich sein.
BC: Was ist Ihr Ratschlag für Rechtsabteilungen oder Kanzleien, die mit Innovation beginnen möchten?
Knyrim: Mein wichtigster Ratschlag, gerade im aktuellen KI-Hype, in dem uns Sprachmodelle, die derzeit immer noch nicht viel mehr sind als dressierte Sprach- Ton- und Bild“mischmaschinen“ als die Lösung aller Probleme der Gegenwart und Zukunft verkauft werden: Nicht Opfer des Hypes werden und glauben, dass KI alle Probleme wie durch ein Wunder löst. Einfach anfangen! Analysieren Sie zunächst, wo die größten Ineffizienzen in Ihren aktuellen Prozessen liegen und suchen Sie gezielt nach Technologien, die diese spezifischen Probleme lösen können. Es muss nicht gleich die größte und teuerste Lösung sein. Beginnen Sie mit einem klaren Ziel, messen Sie die Ergebnisse und bauen Sie schrittweise darauf auf. Sprechen Sie auch mit Kollegen in der Branche, um von deren Erfahrungen zu lernen, zum Beispiel auf Veranstaltungen wie der "Vienna Legal Innovation ".
BC: Sehr geehrter Herr Dr. Knyrim, vielen Dank für diesen klaren Blick über den Tellerrand des KI-Hypes. Wir freuen uns, Sie bald wieder bei uns zu begrüßen!

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