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Was Betriebe in der Lehrlingsausbildung leisten können und leisten sollen – Interview mit Franz Heißenberger, ÖBB

Franz Heißenberger, MSc ist Ausbildungsleiter in der ÖBB Rail Cargo Group und verantwortlich für über 100 Speditions- und Logistiklehrlinge. Im Gespräch plädiert er für plädiert für mehr Kooperationen, faire Finanzierung und Vertrauen darin, dass die Jugend mehr kann als man denkt.

Business Circle: Sehr geehrter Herr Heißenberger, in unserem letzten Interview vor zwei Jahren haben Sie betont, wie wichtig es ist, gute Ausbilder zu haben. Haben Sie seither die Erfahrung gemacht, das gewisse Grund-Fähigkeiten, die eigentlich in der Schule vermittelt werden sollten, bei den Lehrlingen eher abnehmen und wie können Betriebe hier gegensteuern?  

Franz Heißenberger: Ich denke, Entwicklungen in den Grund-Fähigkeiten passieren hier schleichend und zielgruppenspezifisch auch in verschiedener Ausprägung. Bei den MINT Fächern ist es sicherlich herausfordernd und hier wird es unerlässlich sein, auch im Rahmen der Lehre stärker drauf zu achten. Öffentliche Diskussionen, in denen die Betriebe die Verantwortung auf die Schule, diese wieder auf die Eltern schieben und unisono die Politik für die Zustände verantwortlich ist, bringen im Ergebnis wenig. Insgesamt sollte man in der Diskussion weg von der permanenten Defizitorientierung, mal die „Pausetaste“ drücken, finanziellen Input und qualitativen Output gegenüberstellen und dann innovative Wege mit hoher Outputorientierung unterstützen. Klingt einfach, ist es aber nicht.  Natürlich können wir auch in den Betrieben was tun hinsichtlich individueller Nachhilfe etc., dafür stehen auch Fördergelder zur Verfügung. Sind mehrerer Lehrlinge im Unternehmen, kann auch Peer Group Learning ein passendes Konzept sein, wo jeder seine Stärken auch anderen zur Verfügung stellt.
Es gibt aus meiner Erfahrung aber auch Lichtblicke. Bei den sogenannten 21st Century Skills wie Kommunikation, Zusammenarbeit, Kreativität und Kritisches Denken sind die Jungen teilweise oft weiter, als wir glauben. Auch Sprachkompetenzen wie Englisch sind heute wesentlich besser ausgeprägt, als noch vor Jahren. Das kommt medial leider zu wenig an die Oberfläche.

BC: Daran anschließend: Der Betrieb als "Schulersatz".  Können Sie Beispiele aus Ihrer Arbeit nennen, wo das gut funktioniert hat oder wo Grenzen sichtbar wurden?

Heißenberger: Schulersatz geht hier sicher zu weit, das können Betriebe aktuell nicht leisten. Wir haben vor Jahren ein Projekt „Digital Natives & Digital Immigrants“ umgesetzt. Dabei ging es zwar nicht um Schulfächer, sondern um besseres, gegenseitiges Verständnis der digitalen Medien zwischen den Generationen hinsichtlich Nutzungsverhalten, Gefahren und Chancen. Das hat gut funktioniert. Auch individuelle Unterstützung in einzelnen Gegenständen bringt was. Die Grenzen sehen wir meist in den fehlenden, zeitlichen Ressourcen, die verhindern, dass einzelne Erfolgsgeschichten zu einer ganzheitlichen Story werden können.

BC: Das Outsourcing von Bildungsteilen ist für viele Betriebe schwierig – wo kann es Ihrer Erfahrung nach dennoch sinnvoll sein, und wie stellen Sie sicher, dass es vernünftig in die Ausbildung integriert wird?

Heißenberger: Das ist natürlich themenabhängig. Generell bin ich der Meinung, dass die Lehrausbildung ohnehin viel einheitlicher und integrativer betrachtet werden sollte. Hier müssen auch Strukturen verändert werden. Das Lerndreieck Betrieb, Berufsschule und am Ende der Lehrabschluss ist momentan nicht ganz schlüssig – jedenfalls nicht in der Praxis. Hier muss auf jeden Fall mehr strukturierte Kommunikation und Abstimmung passieren, an der auch Praktiker:innen aus den Betrieben mehr Gewicht bekommen.
Das Outsourcing von Bildungsteilen sehe ich nicht als generelles Problem, auch wenn ich der Meinung bin, dass Inhouse Weiterbildung gerade bei Lehrlingen oft besser funktioniert auch im Sinne Identifikation und Unternehmensbindung. Um es aber wertschöpfend zu gestalten, braucht es auch eine umfassende Vorbereitung und die richtigen Anbieter mit dem richtigen Mindset als Dienstleister. Den richtigen Anbieter finden und mit ihm einen längeren, gemeinsamen Weg gehen halte ich für einen guten Ansatz, wenn man Bildungsteile outsourcen möchte/muss.

Lehrlinge in den Betrieben brauchen Menschen, die ausreichend Zeit haben, sich mit ihnen zu beschäftigen.

BC: Wer sollte die Kosten für eine umfassendere Ausbildung tragen – der Betrieb, der Staat (also die steuerzahlenden Bürger) oder eine Kombination? Aus gesellschaftlicher Sicht ist Investition in Bildung günstiger als Sozialhilfe: Wie argumentieren Sie das in Gesprächen mit Stakeholdern?

Heißenberger: Eine faire Aufteilung von Kosten sollte sich grundlegend immer auch am erwartbaren Nutzen für einzelne Beteiligte orientieren. Ich denke, über die Sinnhaftigkeit von Bildung und Ausbildung der Jugend für Wirtschaft, Unternehmen, Staat und Gesellschaft und letztlich für jeden Einzelnen müssen wir nicht diskutieren. Also bietet sich natürlich eine Kombination an, wie sie aktuell ja auch mit Fördersystemen abgebildet ist. Wenn sich Nutzenrelationen verschieben, Betriebe sich die Ausbildung nicht mehr leisten können oder nicht ausbildende Betriebe die gut ausgebildeten Leute nach der Ausbildung abwerben, muss man auch über ergänzende Finanzierungsmodelle nachdenken. Mein Credo wäre aber immer: Lehrlinge in den Betrieben brauchen Menschen, die ausreichend Zeit haben, sich mit ihnen zu beschäftigen. Das muss finanziert werden und wenn das die Betriebe zunehmend nicht mehr können, und dadurch die Lehrlingsausbildung vernachlässigen oder gar aufgeben, muss die Finanzierung anders gestaltet werden – das scheint mir alternativlos.

BC: Lernen ist für Jugendliche – und zunehmend auch für Ältere – alternativlos in einer sich wandelnden Arbeitswelt. In welche Zukunftsfähigkeiten legen Sie in der Ausbildung jetzt schon Wert?  

Heißenberger: Fachlich steht jedenfalls die gute Kombination aus Wissen & Können im Vordergrund. In unserem Lehrlingsperformancemanagement bilden wir das auch konkret so ab. Das sind die Basics. Bei den allgemeinen Zukunftsfähigkeiten orientieren wir uns tatsächlich auch an den 21st Century Skills, wie oben beschrieben. Wir versuchen unseren Lehrlingen möglichst viel Raum für Selbstreflexion, Erfahrungslernen und Blick über den Tellerrand der eigentlichen Fachausbildung zu geben. Proaktivität steht dabei als Erfolgsfaktor im Vordergrund. Die Praxisausbildung als 6-monatige Jobrotation bietet sich dafür an. In Lernpräsentationen präsentieren die Lehrlinge ihre Erfahrungen anderen Lehrlingen. In Rahmen jährlicher Performancegespräche  werden gemeinsame Entwicklungsmaßnahmen definiert. Bei ERASMUS+ Auslandspraktika können sie Europaluft schnuppern. An all diesen Maßnahmen können sie wachsen, ihre individuellen Talente entwickeln und sich so fit machen für ihre Zukunft. Funktioniert nicht bei allen, ist aber unser Weg, den wir für den Richtigen halten.

BC: Wie holen Sie Partnerunternehmen und die Politik "ins Boot", um die Ausbildung zu stärken? Gibt es erfolgreiche Kooperationen in Ihrem Konzern, die als Vorbild dienen könnten?

Heißenberger: Natürlich gibt es Kooperationen in verschiedenen Bereichen. Als Rail Cargo Group und Teil der ÖBB mit mittlerweile 2300 Lehrlingen in 27 Lehrberufen im Gesamtkonzern sind wir hier gut vernetzt. Hervorheben möchte ich unsere langjährige und hervorragende Partnerschaft mit der Organisation IFA (Internationaler Fachkräfteaustausch) bei den Auslandspraktika unserer Lehrlinge. Gemeinsam mit IFA schaffen wir bei diesem ERASMUS+ Programm eine effiziente Abwicklung hinsichtlich Programm, Organisation und Kostenunterstützung, die als Unternehmen allein so nicht zu schaffen wäre.

BC: Abschließend: Basierend auf Ihrer Verantwortung für über 100 Lehrlinge in der Rail Cargo Group – welche sind Ihre Top-3 Empfehlungen  für andere Unternehmen, um die Ausbildung resilienter und inklusiver zu gestalten?

Heißenberger: Die klingen jetzt gar nicht so spektakulär und sind weit weg von Fachwissen & Co:

1. Glauben sie weiterhin an die Jugend (wir haben keine andere)!

2. Fördern Sie das Teamgefüge unter den Lehrlingen (sie werden Erfolge ernten)!

3. Lassen Sie Ihre Lehrlinge von den richtigen Leuten im Unternehmen lernen (dann werden Sie auch die richtigen Mitarbeiter:innen bekommen)!

BC: Vielen Dank für dieses spannende Gespräch. Wir freuen uns, Sie wieder beim Lehrlingsforum zu begrüßen!

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