Die BWB zu Compliance und Kartellrecht – Interview mit Barbara Seelos
Business Circle: Sehr geehrte Frau Dr. Seelos, Sie haben im April 2025 die Leitung der Stabstelle der Bundeswettbewerbsbehörde übernommen. Möchten Sie uns eingangs kurz skizzieren, wie Sie Ihr bisheriger Weg dorthin geführt hat?
Barbara Seelos: Ich bin schon immer vielseitig interessiert gewesen und liebe es Neues zu lernen. Das spiegelt auch mein Lebenslauf wider. Ich bringe Erfahrung aus der Beratung und der Privatwirtschaft mit. Insgesamt habe ich aber die meiste berufliche Zeit in der BWB verbracht und komme dabei voll auf meine Kosten: es ist abwechslungsreich, man lernt jeden Tag dazu und arbeitet mit Themen, die die Menschen direkt betreffen: derzeit aktuell die hohen Lebensmittelpreise, Strom- und Energiekosten und allgemein die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit für einen zukunftsfitten Wirtschaftsstandort.
BC: Daran anschließend: Welche Schwerpunkte setzen Sie aktuell in der Digitalisierung, beim Wettbewerbsmonitoring und im Stakeholdermanagement?
Seelos: Wie man schon an meinem Aufgabenbereich sieht, ist die Arbeit der Stabstelle sehr umfangreich und deckt sowohl interne Prozesse als auch Fachthemen ab. Digitalisierung ist ein Bereich, der mir persönlich sehr am Herzen liegt. Frau Generaldirektorin Dr. Harsdorf wurde heuer zum zweiten Mal als nationale Vertreterin in die High Level Group des Digital Markets Act gewählt. Themen wie digitale Souveränität, Ökosysteme und Plattformmärkte beschäftigen uns in fachlicher Hinsicht als auch in der fortschreitenden Digitalisierung unserer Behörde. Es freut mich, dass ich hier eine aktive Rolle einnehmen darf.
Das Thema Wettbewerbsmonitoring ist besonders spannend, weil wir im Herbst dazu einen ersten Bericht veröffentlichen werden. Konzentrationsentwicklungen am österreichischen Markt evidenzbasiert zu untersuchen, gab es bis dato so nicht in Österreich! Und daran schließt sich dann auch der Kreis zum Stakeholdermanagement. Es gibt viel Interesse an unserer Arbeit und ein aktiver Austausch ist der Generaldirektorin wichtig. Unsere Pressearbeit, ebenfalls in der Stabstelle angesiedelt ist, leistet einen wesentlichen Teil dazu bei, dass unsere Arbeit wahrgenommen und bei den Stakeholdern ankommt. Dabei richtet sich unsere Arbeit sowohl an die Bürgerinnen und Bürger, als auch an politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger. Es ist eine sehr gutes Gefühl, wenn man sieht, dass fachlich fundiertes Wissen gefragt ist.
BC: Wo ist die Grenze zu ziehen zwischen legitimer Kooperation und kartellrechtswidrigem Verhalten? Gibt es Graubereiche, in denen Unternehmen besonders aufpassen müssen?
Seelos: Wichtiger als die Graubereiche zu definieren ist aus meiner Sicht, die ganz klaren sog hard core Kartellverstöße zu vermeiden. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen reale Risiken in der täglichen Praxis aufgezeigt werden. Unser Whistleblower-Postfach geht über mit neuen Meldungen. Aber auch Kartelle in Kernindustrien wie Bau- und Abfallwirtschaft zeigen, dass wir hier noch lange nicht dort sind, wo wir als moderner Wirtschaftsstandort gerne wären. Deshalb gibt es bei der BWB auch einen Advocacy Schwerpunkt, mit Schulungen, Veranstaltungsreihen und verstärkter ex ante Arbeit. Dazu zählt auch die Möglichkeit informelle Einschätzungen zu potentiell relevanten Fragen bei der BWB einzuholen. Zeitnah werden Fragen zur Anmeldepflicht von Zusammenschlüssen beantwortet. Die BWB zählt damit eine sehr bürger- und unternehmensnahe Behörde.
Ein effektives Compliance-System zahlt sich jedenfalls aus
BC: Nach dem Motto „Keep me out of jail“: was sollten Vorstände von ihren Rechtsanwälten und Compliance-Abteilungen im Wettbewerbsrecht erwarten?
Seelos: Was ich in meiner privatwirtschaftlichen Praxis hautnah selbst erlebt und mitgenommen habe, ist: There is no „one size fits all“ Compliance Lösung. Wettbewerbsrecht orientiert sich an der Wirtschaftsrealität und da braucht es Berater und Beraterinnen, die das Business Model und die Wirtschaftstreiber des jeweiligen Unternehmens verstehen. Im Wettbewerbsrecht - anders als das Unternehmensrecht - wird der Begriff „Unternehmer“ nicht definiert sondern funktional auslegt. Jede Compliance-Maßnahme muss von der Spitze des Unternehmens mitgetragen und ernsthaft umgesetzt werden. Ein effektives Compliance-System zahlt sich jedenfalls aus - es kann ggf sogar geldbußenmindernd im Fall der Verhängung von Kartellgeldbußen sein.
BC: In Zeiten von Social Media fürchten Unternehmen einen Reputationsschaden („Shitstorm“) manchmal mehr als mögliche Sanktionen. Welche Rolle spielt die BWB in diesem Spannungsfeld zwischen rechtlicher Strafe und öffentlicher Wahrnehmung?
Seelos: In der Tat ist durch Social Media der einzelne Medienkonsument und die einzelne Medienkonsumentin mehr in den Fokus der Unternehmenswahrnehmung gerückt. Eine schlechte Bewertung auf Social Media kann das Geschäft eines Unternehmens bereits stark beeinträchtigen. Die Aufgabe der BWB hat aber eine ganz andere Stoßrichtung. Das Wettbewerbsgesetz sieht eine unverzügliche Veröffentlichungspflicht bei rechtskräftigen Entscheidungen durch das Kartellgericht vor. Damit hat die BWB die Verpflichtung die Öffentlichkeit - und damit auch potentiell Betroffene - über Wettbewerbsverstöße zu informieren.
BC: Haben Sie vielleicht ein Beispiel, das illustriert, wann und wie die Kronzeugenregelung sinnvoll einzusetzen ist?
Seelos: In meiner jahrelangen Rolle als Kartellermittlerin habe ich die unterschiedlichsten Motive und Konstellationen für Kronzeugenanträge gesehen. Persönlich beeindruckt hat mich ein Kronzeuge, der das Familienunternehmen gerade erst übernommen hat und dem kartellrechtswidrige Verhaltensweisen aufgefallen sind. Er hat entschieden, dass mit dem Generationenwechsel auch ein Kulturwechsel stattfinden muss und einen Kronzeugenantrag gestellt. Ein guter Start der neuen Generation im Familienunternehmen.
BC: Abschließend: Sie werden zum ersten Mal bei der „Compliance now!“ teilnehmen. Warum ist es in Ihren Augen so wichtig, dass sich die Compliance-Community auch live vernetzt und worauf freuen Sie sich am meisten?
Seelos: Genauso wichtig wie die rigorose „zero tolerance“ Kultur von der Spitze des Unternehmens („Tone from the Top“), ist der „Tone from the Middle“. Unternehmenskultur ist etwas Lebendiges, das von Vorgesetzen als auch auf derselben Ebene zwischen Kolleginnen und Kollegen gelebt werden muss. Ein Wissen- und Erfahrungsaustausch auf der Compliance Now! bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit unternehmensübergreifend den Blickwinkel auf das eigene Unternehmen zu schärfen und potentielle „Baustellen“ zu identifizieren. Ich freue mich über spannende Gespräche und Impulse für meine Arbeit in der BWB.
Fotocredits: Philipp Lipiarski & Business Circle