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6. Austrian Sustainability Summit

Zwischen Waldschutz und Wirklichkeit: Interview mit Bernhard Gehmayr von ROXCEL

Nachhaltigkeitsregulierung wie die EU-Entwaldungsverordnung verspricht Wirkung – erzeugt aber auch Unsicherheit und Mehraufwand. Bernhard Gehmayr erklärt, wie Unternehmen handlungsfähig bleiben und Umweltschutz aktiv gestalten.

Business Circle: Sehr geehrter Herr Gehmayr, die Papier- und Verpackungsindustrie gilt als innovationsfähig, was sie in der Vergangenheit auch schon oft bewiesen hat. Wo sehen Sie bei der Umsetzung der EU-Entwaldungsverordnung die größten praktischen Brüche zwischen politischem Anspruch und operativer Umsetzbarkeit?

Bernhard Gehmayr: Ganz praktisch: Die Rückverfolgbarkeit über Geodaten ist eine echte Herausforderung – vor allem bei Lieferanten, die nicht zu den großen Playern gehören. Die Vorbereitung braucht Zeit und Koordination. Dazu kommen heterogene Formate und Anforderungen für Datenübermittlung seitens Lieferanten und Kunden. Außerdem sind nichtbindende Auslegungen sowie nationale Vollzugspraxis noch nicht vollständig geklärt. Das führt zu Unsicherheiten, die operative Entscheidungen verzögern oder verteuern.

BC: Die EUDR verschiebt Verantwortung hin zur Industrie. Ist das aus Ihrer Sicht ein sinnvoller Hebel für Waldschutz – oder eine fragwürdige Auslagerung staatlicher Kontrollaufgaben an Unternehmen?

Gehmayr: Ich halte eine solche Marktregelung grundsätzlich für sinnvoll, aber ehrlich gesagt funktioniert es nur, wenn die Regeln praxisnah und verhältnismäßig sind. Gleichzeitig braucht es klare Leitplanken und einen verlässlichen Vollzug. Genau das lässt die EUDR aber zu wünschen übrig. Wie praxistauglich die Ende 2025 beschlossenen „Erleichterungen“ nach einem Review durch die Kommission sein werden, bleibt abzuwarten.

BC: Mut zur Lücke? Gibt es Situationen, in denen Sie bewusst regulatorische Unschärfen akzeptieren, um handlungsfähig zu bleiben – und wenn ja, wie gehen Sie mit dem damit verbundenen Risiko um?

Gehmayr: Beinahe jede Verordnung oder Richtlinie, zumindest im Nachhaltigkeitsbereich, bietet Interpretationsspielraum. Diese Unschärfen lassen sich nicht völlig vermeiden. Stillstehen bringt nichts – im Gegenteil: Man muss handlungsfähig bleiben. Wir begegnen dem mit einer Risikoabschätzung und versuchen eine pragmatische Herangehensweise zu finden, die objektiv argumentierbar ist. Bei der EUDR hatten wir auch einen spezialisierten Berater zur Seite, der uns unterstützt hat.

BC: Daran anschließend: Nachdem Sie auch in der Beratung tätig waren: Ist Ihr Blick auf Regulierung aus der Unternehmenspraxis ernüchternder als aus der Beratungsperspektive?

Gehmayr: Auch aus der Beratungsperspektive wirken regulatorische Lösungen nicht immer plausibel und einfach, aber man findet schnell einen passenden Ansatz. In der operativen Praxis sind notwendige Überzeugungsarbeit, Datenlücken und begrenzte Ressourcen die Realität, und die Verantwortung ist eine ganz andere, wenn man selbst umsetzen muss. Mein Fazit ist daher nüchtern und positiv zugleich: Die Umsetzung funktioniert, wenn Zeitpläne realistisch sind und man einen pragmatischen Zugang findet. Etwas mehr Praxisnähe in der Regulatorik wäre aber oft wünschenswert.

BC: Was wäre auf Seiten des Verpackungsabfallmanagements hinsichtlich der Recyclingfähigkeit zu verbessern? Und müsste auch regulatorisch etwas getan werden?

Gehmayr: Die größte Hebelwirkung liegt im Design: Verpackungen müssen so gestaltet sein, dass sie technisch und wirtschaftlich recycelbar sind. Die 2025 verabschiedete Verpackungsverordnung (PPWR) wird den Verpackungsmarkt in den kommenden Jahren wesentlich beeinflussen und hoffentlich Ressourcenverschwendung deutlich reduzieren. Damit entsteht ein regulatorischer Rahmen, der Innovation fördert und die Kreislaufwirtschaft stärkt. Auch mit B&B Paper Solutions, KÄMMERER und ROXCEL Packaging, unserem Innovationszentrum für Barriere-, Funktions- und technische Papiere, entwickeln wir Lösungen, die genau darauf einzahlen.

Reporting nicht zum Selbstzweck, sondern als Treiber für Verbesserung

BC: How much is too much: Wie verhindern Sie, dass Nachhaltigkeitsmanagement hauptsächlich zu einer Dokumentations- und Reportingfunktion wird?

Gehmayr: Für uns ist Nachhaltigkeitsmanagement ganz klar mehr als eine Dokumentations- und Reportingfunktion. Wir sehen eine starke Nachfrage im Markt, und viele Kunden haben ambitionierte Anforderungen – das macht Nachhaltigkeit zu einem relevanten Businessfaktor. Zusätzlich ermöglicht ein genaueres Monitoring, z.B. durch einen monatlichen CO2-Fußabruck für zwei unserer Papierfabriken, konkrete Bewertung umgesetzter Maßnahmen und liefert der Werksführung relevante Entscheidungsgrundlagen. So wird Reporting nicht zum Selbstzweck, sondern zum Treiber für Verbesserung.

BC: Abschließend etwas Persönliches: Macht die Arbeit im Nachhaltigkeitsbereich eigentlich (vor allem) Spaß – oder braucht man dafür auch eine besondere Frustrationstoleranz?

Gehmayr: Beides. Es macht mir große Freude, wenn spürbar Fortschritte gelingen, Kolleg:innen und Kunden einen Mehrwert sehen und Teams stärker zusammenarbeiten. Gleichzeitig braucht es Geduld: die Regulatorik ist nun oft „work-in-progress“ und Lieferketten sind komplex, die Datenqualität kann hie und da verbessert werden und auch Bewusstseinsbildung braucht Zeit. Die Arbeit im Nachhaltigkeitsmanagement ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Wer Zielorientierung mit Pragmatismus verbindet, hat am Ende wirklich Freude daran.

BC: Sehr geehrter Herr Gehmayr, vielen Dank für diesen Praxis-Einblick in die Realität zwischen regulatorischem Anspruch und industrieller Umsetzung. Wir freuen uns, beim Sustainability Summit mehr davon zu hören!

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